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PolitikEuropa

Kanzler Scholz reist nach Israel

1. März 2022

Bundeskanzler Scholz wird zu einem Kurzbesuch in Israel erwartet. Die russische Invasion in der Ukraine dürfte den Antrittsbesuch bestimmen. Auch in Israel blickt man mit Sorge auf den Krieg.

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Deutschland Rede von Olaf Scholz zur Solidaritätsveranstaltung für Isreal in Berlin
Kanzler Scholz (hier bei einer Solidaritätsveranstaltung für Israel in Berlin) dürfte die Israelpolitik seiner Vorgängerin Angela Merkel im Wesentlichen unverändert fortführenBild: John Mcdougal/AFP via Getty Images

Seit Tagen ist auch in Israel die russische Invasion in der Ukraine das bestimmende Thema in allen Medien. Viele hier beobachten die Entwicklungen mit großer Sorge und Anteilnahme, vor allem unter den ukrainisch- oder russischstämmigen Israelis.

"Es geht mir gar nicht gut. Überhaupt nicht. Die Situation ist so kompliziert und schwierig", sagt Viktoria Lurie besorgt. Vor zwölf Jahren ist die damals 21-Jährige aus der Ukraine nach Israel eingewandert. Aufgewachsen ist die junge Israelin in Melitopol, einer Stadt im Südosten der Ukraine. Ihre Eltern, Verwandten und Freunde sind noch dort. "Ich bin gestern zur Arbeit gegangen, und kann einfach nichts machen. Ich sitze nur da und weine. Wenn alle dort unter Beschuss stehen, ist das, als ob mein Herz stehen bleibt. Es ist so schwierig," sagt Lurie, die aus der Ferne versucht, ihrer Familie zu helfen.

Auf politischer Ebene versucht die israelische Regierung eine diplomatische Gratwanderung, um die Beziehungen zu den USA, der Ukraine und Russland nicht zu beschädigen. Aufgrund der Beziehungen zu beiden Konfliktparteien wurde Israel  sogar schon als möglicher Vermittler ins Spiel gebracht. Am Freitag hatte der israelische Ministerpräsident Naftali Bennett mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj telefoniert, am Sonntag mit Russland Präsident Wladimir Putin. In den israelischen Medien wiederum wird debattiert, wie lange Israel diese delikate Balance aufrechterhalten kann.

Israel, Tel Aviv | Illumniation | Solidarität mit Ukraine
Das Stadthaus von Tel Aviv leuchtet in den Farben der Ukraine - dennoch versucht Israels Regierung einen Balanceakt zwischen Moskau und KiewBild: Amir Cohen/REUTERS

Reise inmitten eines Krieges

In dieser Atmosphäre reist der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz nach Israel - für einen Kurzbesuch. Auf dem Programm stehen vor allem Gespräche mit israelischen Politikern, ein Besuch im israelischen Parlament, der Knesset, und in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem. Israels Ministerpräsident Naftali Bennett soll ihn dabei begleiten. 

Für Bundeskanzler Scholz, der vielen Israelis noch weitgehend unbekannt ist, ist dies der erste Besuch als Kanzler in Israel. Es wird erwartet, dass er die Politik seiner Vorgängerin Angela Merkel fortführt - im Bezug auf Israel und die Palästinenser. Allerdings wird er diesmal nicht wie offenbar zuvor geplant nach Ramallah oder Jordanien weiterreisen.

Israel, Tel Aviv | Annalena Baerbock und Yair Lapid
Vor Olaf Scholz war bereits Außenministerin Baerbock als erstes Mitglied der neuen Ampelregierung nach Israel gereistBild: Jack Guez/AFP/Getty Images

Die deutsch-israelischen Beziehungen sind vom Holocaust definiert, in dem sechs Millionen Juden systematisch von Deutschen ermordet wurden. Seit Aufnahme der diplomatischen Beziehungen 1965 sind die Beziehungen zwischen beiden Ländern immer enger geworden - auf politischer, wirtschaftlicher, kultureller und auch militärischer Ebene. 

Andere Themen - Iran?

Neben dem Krieg in der Ukraine dürften für Israel noch die in Wien geführten Verhandlungen über eine Neuauflage des Atomabkommens mit dem Iran auf der Agenda stehen. Der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine, so die Sorge in Israel, hat die Verhandlungen über das Joint Comprehensive Program for Action (JCPOA) von 2015 in den Hintergrund gerückt. "Ich denke, [Kanzler Scholz] wird vor allem über die Ukraine reden wollen, aber Israel wird versuchen, auch über den Iran zu sprechen," sagt Militär-Historiker Danny Orbach von der Hebräischen Universität in Jerusalem. "Das ist eines der dringlichsten Themen. Israel würde gerne sehen, das Deutschland eine härtere Haltung gegenüber dem Iran einnimmt - wenn es um das JCPOA geht, aber auch allgemein, wenn es um Iran geht."  Die direkten Gespräche werden derzeit in Wien von Großbritannien, China, Frankreich, Deutschland und Russland geführt. Die USA, die das Abkommen noch unter US-Präsident Trump 2018 aufgekündigt hatten, sind indirekte Verhandlungspartner. 

Österreich, Wien | Hotel Palais Coburg
Im Wiener Palais Coburg finden derzeit die Gespräche mit dem Iran über eine Wiederaufnahme des Atomabkommens stattBild: Ehsan Monajati/DW

Humanitäre Hilfe aus Israel

Doch die Ukraine wird bei diesem Besuch oberste Priorität besitzen. Bereits vergangene Woche hatten sich Israels Außenminister Jair Lapid und seine deutsche Amtskollegin Annalena Baerbock telefonisch über die Situation ausgetauscht, so das israelische Außenministerium. 

Noch versucht Israel, sich diplomatisch weitgehend 'neutral' zu verhalten um die Beziehungen zu den Konfliktparteien nicht zu gefährden. Ministerpräsident Naftali Bennett hat es bislang vermieden, Russland direkt zu verurteilen. Beobachter führen dies unter anderem auf die Notwendigkeit zurück, dass sich Israel im benachbarten Syrien mit Russland koordinieren muss, um dort auch weiterhin militärisch aktiv zu sein. Damit will Israel eine bedrohliche iranische Präsenz an seiner nördlichen Grenze verhindern. 

Israel Airport Ben Gurion humanitäre Hilfe für Ukraine
Auf dem Flughafen Ben Gurion in Tel Aviv werden humanitäre Hilfsgüter für die Ukraine verladenBild: Tsafrir Abayov/AP/picture alliance

"Die israelische Regierung ist in einem Interessenskonflikt - auf der einen Seite ist es Teil des westlichen Bündnisses, an der Seite der USA," sagt Historiker Danny Orbach. "Andererseits achtet man sehr darauf, nicht die [militärische] Koordination mit Russland in Syrien zu untergraben." 

Unterdessen unterstützt Israel die Ukraine mit humanitärer Hilfe. Rund 100 Tonnen Hilfsgüter aus Israel sollen in den nächsten Tagen in die Ukraine geflogen werden, darunter medizinisches Equipment, Zelte, Schlafsäcke und Decken. Und an den Grenzen zu Polen, Moldawien, Rumänien und Ungarn sind israelische Botschaftsangestellte im Einsatz, um fliehenden Staatsangehörigen zu helfen. Auch berichten Medien über eine erhöhte Nachfrage von jüdischen Ukrainern, die einen Antrag auf Aliyah - eine langfristige Einwanderung nach Israel - stellen möchten, um dem Krieg zu entfliehen.

Porträt einer Frau mit dunklen Haaren
Tania Krämer DW-Korrespondentin, Autorin, Reporterin