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Ukraine-Krieg trifft deutsche Autoindustrie

Klaus Ulrich
3. März 2022

Nach den Folgen der Corona-Pandemie treffen nun die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine die deutschen Autohersteller. Immer mehr Bänder stehen still. Kooperationen mit Russland werden gestoppt.

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Ein VW Touareg vor einem VW-Autohaus in St. Petersburg
VW-Autohaus in St. PetersburgBild: picture alliance/dpa

VW stoppt Produktion in Russland

"Die Kriegshandlungen Russlands führen zur Unterbrechung von Lieferketten. Der Transport ist eingeschränkt, die Produktion in Zulieferbetrieben fällt aus", teilt der Autoherstellerverband VDA auf DW-Anfrage mit. "Schnelle Hilfe und ein Ende der Kampfhandlungen müssen im Vordergrund stehen, wirtschaftliche Fragen stehen jetzt dahinter zurück", sagt VDA-Präsidentin Hildegard Müller.

Branchengrößen wie Mercedes-Benz, BMW, Volkswagen mit seinen Töchtern Porsche und Audi und der Lkw-Hersteller MAN drosseln ihre Produktion bereits oder stellen sie sogar ein. Denn es fehlen sogenannte Kabelbäume.

Elektromobilität I Automobil
Autoproduktion: Verlegung des KabelbaumsBild: Jochen Lübke/dpa/picture alliance

Kabelbäume im Mittelpunkt

Dabei handelt es sich um ein komplexes und teils für jedes Fahrzeugmodell individuell angefertigtes Bauteil, das bereits zu Beginn der Fahrzeugproduktion zur Verfügung stehen muss, da es nicht nachträglich eingebaut werden kann.

Der Kabelbaum ist das Bordnetz eines Autos, dort sind die Strom- und Übertragungsleitungen für Signale zusammengefasst. Neben der Elektrik und der Motorsteuerung sind auch alle Assistenzsysteme und die Unterhaltungselektronik damit verbunden. Sechs bis acht Kilometer Kabel werden mittlerweile in einem einzigen Fahrzeug verbaut, das Gewicht beträgt mehr als 60 Kilogramm.

Nach VDA-Angaben versorgt neben Tunesien vor allem die Ukraine europäische Hersteller mit diesem Bauteil. Kabelbäume seien komplexe Komponenten, daher könne die Produktion nicht kurzfristig umgestellt oder anderweitig ersetzt werden, heißt es. Auch gebe es kaum Lagerbestände.

Zu den größeren Firmen mit Standorten in der Ukraine gehören Fujikura aus Japan oder die französische Nexans. Als der wohl wichtigste Zulieferer für deutsche Autobauer hatte der Nürnberger Bordnetz-Hersteller Leoni seine zwei Fabriken mit mehreren tausend Mitarbeitern im Südwesten der Ukraine nach Kriegsbeginn stillgelegt.

Elektromobilität I Automobil
Mitarbeiter von Leoni Wiring Systems in der West-UkraineBild: Alona Nikolaievych / Avalon/picture alliance

Deutsche Autobauer müssen auf die Bremse treten

"Der Konflikt in der Ukraine hat weitreichende Auswirkungen auf die Produktion der dortigen Zulieferindustrie. Die daraus resultierenden Produktionsausfälle führen in mehreren BMW-Werken ab Mitte der Woche sukzessive zu Produktionsanpassungen und -unterbrechungen", zitiert die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" einen Konzernsprecher von BMW. Fast die gesamte europäische Produktion des bayerischen Autoherstellers sei betroffen.

Der VW-Konzern hatte nach Versorgungsengpässen aus der Ukraine zunächst Kurzarbeit an zwei Produktionsstandorten in Ostdeutschland angeordnet, in der kommenden Woche soll es auch Einschränkungen im Wolfsburger Stammwerk geben, in der übernächsten Woche dann einen kompletten Stillstand.

Russland - VW-Werk in Kaluga
Volkswagen-Werk im russischen Kaluga Bild: picture-alliance/dpa/F. Gentsch

Bei Porsche stehen zunächst bis Ende kommender Woche die Bänder in Leipzig still, im Stammwerk Zuffenhausen werde die Produktion noch aufrechterhalten. "In den kommenden Tagen und Wochen werden wir auf Sicht fahren und die Lage kontinuierlich bewerten", sagte ein Porsche-Sprecher der Nachrichtenagentur Reuters. Diese berichtet zudem über Drosselungen der Produktion beim Nutzfahrzeughersteller MAN. Auch Mercedes-Benz sei von Zulieferern aus der Ukraine abhängig. Es werde versucht, Ausfälle zu vermeiden. Ab der kommenden Woche müsse die Schichtplanung aber angepasst werden. "Derzeit laufen unsere Werke weltweit", so der Stuttgarter Autobauer.

Stopp der Geschäftsbeziehungen

Am 3. März gab Volkswagen bekannt, sein Russland-Geschäft auszusetzen. "Vor dem Hintergrund des russischen Angriffs hat der Konzernvorstand entschieden, die Produktion von Fahrzeugen in Russland bis auf weiteres einzustellen", hieß es aus Wolfsburg. VW betreibt in Kaluga südwestlich von Moskau und im weiter östlich gelegenen Nischni Nowgorod eine eigene Autofertigung. Auch Exporte der größten europäischen Autogruppe nach Russland würden "mit sofortiger Wirkung gestoppt". Mercedes-Benz und BMW hatten ihre Exporte nach Russland sowie die Fertigung dort ebenfalls eingestellt.

Marktpräzens in Russland und in der Ukraine

2021 wurden rund insgesamt 1,7 Millionen Pkw und leichte Nutzfahrzeuge (Transporter) in Russland verkauft. Das war weniger als etwa in Brasilien oder Indien abgesetzt wurden. Damit hatte der russische Markt einen Anteil von nur 2,3 Prozent am Weltmarkt. "Russland ist für die Autoindustrie zum unbedeutenden Nischenmarkt geworden", betitelt der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer vom CAR-Center Automotive Research in Duisburg seine aktuelle Studie.

Russland Winter Schneefall und Verkehr in Moskau 2011
Autoverkehr in MoskauBild: picture-alliance/dpa/Itar-Tass/S. Fadeichev

Laut Branchenverband VDA haben die deutschen Hersteller im vergangenen Jahr etwas mehr als 40.000 Fahrzeuge in beide Länder - Russland und Ukraine - exportiert. Konkret waren es 4100 Pkw in die Ukraine und 35.600 Pkw nach Russland. Dies entspricht 1,7 Prozent aller aus Deutschland heraus exportierten Pkw. Russland steht bei den Pkw-Exporten aus Deutschland auf Platz 18.

In Russland selbst produzierten die deutschen Hersteller im vergangenen Jahr 170.000 Pkw, die weitgehend auch dort abgesetzt wurden. Die deutsche Automobilindustrie - Hersteller und Zulieferer zusammengefasst - unterhält etwa eigene 43 Fertigungsstandorte in Russland und sechs der Ukraine. Zudem gibt es weitere internationale Werke, die Komponenten zuliefern.

Rohstoffe werden knapper und teurer

Der VDA geht davon aus, dass die Automobilindustrie langfristig mit Preisanstieg bei Rohmaterialien konfrontiert sein wird. So ist die Ukraine einer der wichtigsten Lieferanten des Edelgases Neon. Der Verband erwartet deshalb Auswirkungen auf die europäische Halbleiterproduktion, da Chips bereits jetzt Mangelware sind. Bei der Halbleiterproduktion kommen Hochleistungs-Laser zum Einsatz, die unter anderem das Edelgas benötigen.

Auch könnte es an Palladium aus Russland für Katalysatoren fehlen. Etwa ein Fünftel des nach Deutschland importieren Palladiums kommt aus Russland.

Ein wichtiger Rohstoff zur Produktion von Lithium-Ionen-Batterien ist Nickel. Damit ist dieser Rohstoff unersetzbar für den Hochlauf der Elektromobilität. Laut Prognosen wird sich der Bedarf von Nickel vervielfachen. Russland ist unter anderem ein wichtiges Förderland für Nickelerz - Deutschland bezieht 44 Prozent seines Bedarfs aus Russland.

Lagerstätten ausgeschöpft, Lieferketten noch stärker gestört

Bei den Vorprodukten waren aufgrund der weltweiten Pandemie bereits vor Kriegsausbruch die Lagerbestände in einigen Bereichen weitgehend erschöpft. Die durch den Krieg hinzukommenden Unterbrechungen bei Zug- und Schiffsverbindungen sowie Einschränkungen im Luftverkehr haben bereits deutliche Auswirkungen auf die Liefer- und Logistikketten. Deshalb erwarten der VDA eine Verschärfung der Teileversorgung.

Zusätzlich geraten die Lieferketten beispielsweise nach und aus China unter Druck, weil auch die Landwege durch die Krisenregion einen Transport zunehmend ausschließen. "Die Erfahrung mit Russland und der Ukraine zeigt, dass die Risikobewertung der Standorte und die Risikostreuung für die Autoindustrie wichtiger werden sollten. Das gilt noch mehr für China, wo der Volkswagen-Konzern 40 Prozent seines Gesamtabsatzes Abwickelt", sagt der Autoexperte Stefan Bratzel, Direktor Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach in einem Interview zu den Auswirkungen des Ukraine-Krieges auf die deutsche Autoindustrie.