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Food-Influencerin mit 95 Jahren

Klaudia Prevezanos
21. Juni 2022

Food-Influencer sind Kult. Sybil Gräfin Schönfeldt hat mit ihren Kochbüchern die deutsche Küche seit den 1960er-Jahren beeinflusst. Ein Gespräch über Essenstrends, Lebensmittel und Hunger im Krieg.

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Sybil Gräfin Schönfeldt - Porträtfoto (Foto: Erwin Elsner/picture alliance)
Sybil Gräfin Schönfeldt im Jahr 2015 Bild: Erwin Elsner/picture alliance

Kochen ist angesagt, Köchinnen, Köche und Food-Influencer sind zum Teil international berühmt. Es gibt immer neue Trends beim Kochen und Essen: Vegan, ayurvedisch, Regional Food, Clean Cooking - nur als Beispiele. Dazu: Immer neue Kochshows und Rezepte - im Fernsehen, als Buch und natürlich auf den verschiedenen Social Media-Plattformen. 

Sybil Gräfin Schönfeldt schreibt seit den 1960er-Jahren als Autorin über das Kochen. Mit ihren Kolumnen, Rezepten und Kochbüchern hat sie die deutsche Küche beeinflusst. Eine Influencerin würde man sie heute nennen. Im Februar 2022 ist die deutsche Autorin 95 Jahre alt geworden - und arbeitet weiterhin. 

Zum Krieg Russlands gegen die Ukraine sagt sie: "Das ist eigentlich unerträglich." In ihrem autobiografischen Jugendroman "Sonderappell" aus dem Jahr 1984 erzählt sie vom Ende des Zweiten Weltkriegs, den sie als 18-Jährige erlebt hat. Als sogenannte Arbeitsmaid wurde die Deutsche mit österreichischen Wurzeln zum "Reichsarbeitsdienst" der Nationalsozialisten einberufen - ein Pflichtdienst für junge deutsche Frauen und Männer während des Zweiten Weltkriegs. Dabei hat sie unter anderem mit ukrainischen Frauen, die von den Nationalsozialisten als Zwangsarbeiterinnen verschleppt worden waren, in einer Munitionsfabrik gearbeitet.

Schon in den 1980er-Jahren hat Schönfeldt vegetarisch gekocht und Rezepte für Kinder oder Kochbücher für berufstätige Frauen veröffentlicht. Zuletzt erschien das "Kochbuch für die kleine alte Frau" (edition momente Verlag). Auch literarische Kochbücher zu Johann Wolfgang von Goethe, Thomas Mann oder Astrid Lindgren - mit der sie befreundet war - hat die große alte Dame der deutschen Kochkunst herausgegeben.

DW: Zuerst einmal herzlichen Glückwunsch nachträglich, Frau Schönfeldt, Sie sind am 13. Februar dieses Jahres 95 Jahre alt geworden. Haben Sie gefeiert? 

Sybil Gräfin Schönfeldt: Ich habe bei diesem Geburtstag gesagt, ich will gar nicht groß feiern, ich warte, bis ich 100 werde. Dann schmeiße ich wieder ein Fest. Ich war zuhause und es konnte im Laufe des Tages kommen, wer wollte. Das war ganz wunderbar: Wer alles kam und was mitbrachte. Ich saß faul im Sessel und die nächsten Generationen haben alles für die Gäste gerichtet.

Eigentlich soll es ja ums Kochen und deutsche Küche gehen. Aber Sie sind mit 95 Jahren auch eine Zeitzeugin, am Ende des Zweiten Weltkriegs waren Sie 18 Jahre alt. Darum wüsste ich gerne - nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar - wie es Ihnen damit geht, dass wieder Krieg in Europa ist? Wenn Sie von den Angriffen und Kämpfen hören, und von der Not? 

Damals waren wir froh, dass wir den Krieg überlebt hatten - ob das die Soldaten waren oder wir Arbeitsmaiden, die ja auch Uniformen trugen und manchmal in die Gefechtslinien hineingeraten sind. Wenn man das hinter sich hat, dann kann man sich nicht vorstellen, dass Menschen so etwas noch einmal erleben müssen. Es ist schrecklich. Es ist so schrecklich, dass es einem das Herz zerreißt. 

Sie wurden in einem Interview mit der deutschen Wochenzeitung "Die Zeit" (im November 2021) gefragt, ob sie bestimmte Essensmoden besonders mögen würden. Ihre Antwort war: 'Nein, das war mir immer schnuppe. Wenn du einmal gefrorene Kartoffelschalen mit den ersten Schimmelspuren als wunderbares Essen empfunden hast, wie nach dem Krieg, auf der Flucht, dann hast du einen anderen Standpunkt solchen Aussagen gegenüber.' Trotzdem legen Sie sehr viel Wert auf gutes Essen und gute Zutaten. Das zeigen auch Ihre Kochbücher. Warum ist das für Sie kein Gegensatz?

Ganz im Gegenteil. Der Krieg und die Nachkriegszeit haben in Deutschland und in ganz Europa einen Hunger entstehen lassen, der in normalen Zeiten überhaupt nie aufgetreten ist. Es gab in Deutschland während des Krieges immer irgendetwas zu essen. Aber erstens hat das damalige Deutsche Reich die Nahrungsmittel aus den eroberten Ländern radikal abgeräumt und nach Deutschland geschafft, damit die Deutschen etwas zu essen hatten. Und zweitens: Das Essen ist im biblischen Sinne die Gottesgabe. Wein und Brot, das sind die beiden Bilder, die das Essen bezeichnen. Und ob es die Kartoffelschalen sind oder ob es ein Hochzeitsmahl ist, ein Geburtstags- oder Weihnachtsessen ist, es sind dieselben Nahrungsmittel. Die mit Liebe, mit Vorsicht und mit Kenntnis behandelt werden sollten.

Sechs Erwachsene und ein Kind sitzen an einem gedeckten Tisch zum Essen.
Festmahl oder Alltagsessen - die Zutaten sollten sorgfältig zubereitet werden, sagt SchönfeldtBild: lev dolgachov/Zoonar/picture alliance

Wenn Sie sagen, Kriegs- und Nachkriegszeit hätten einen Hunger entstehen lassen, meinen Sie damit den sogenannten Hungerwinter (1946/47) in Deutschland und Europa? 

Nach diesen ziemlich scheußlichen ein oder zwei Jahren haben die Menschen so viel gefuttert, wie sie hinter die Kiemen kriegten. Weil es einen Nachholbedarf gab - vom Kopf her, aber auch der Körper verlangte danach.

Die traditionelle deutsche Küche gilt als fleischhaltig, schwer und nicht unbedingt frisch und gesund. Stimmt das heute noch?

Nein, eigentlich nicht. In den letzten Jahrzehnten ist die Internationalität alltäglich geworden. So dass sie gar nicht mehr von einer deutschen Küche sprechen können. Sie hat sich gemischt und das ist eigentlich sehr schön. Zum Beispiel diese Mittelmeergemüse und Meeresfrüchte heitern das deutsche Angebot merklich auf. Auch Reis und Pasta sind selbstverständlich geworden. Als ich ein Kind war, war Reis noch etwas ganz Außergewöhnliches. 

Die Deutschen und das Fleisch

Was Sie beschreiben, heißt heutzutage Fusion Food - das Verbinden verschiedener internationaler Koch- und Kücheneinflüsse. Ein internationaler Trend, den es im Grunde schon lange gibt. Sind die Entwicklungen der deutschen Küche denn alle gut?

Hm. Die Pizza wird ja in die Hand genommen, wo immer der Pizzaesser sich befindet. Teilweise sind das natürlich entsetzliche Unsitten. Wir trinken aus Pappbechern und essen aus Papptüten. Du hast den Eindruck, manche Leute haben gar kein Geschirr mehr zuhause. Das ist schon die Unkultur.

Ist auch etwas aus der deutschen Küche verschwunden, das Sie vermissen? 

Nein. Ich bin nur froh, dass ich keine Steckrüben mehr essen muss. In den Nachkriegsjahren, als in den Städten die Gas- und die Stromleitungen noch kaputt waren, wurden Volksküchen eingerichtet. Da holte man sich dann mit einem Eimer am einen Tag Steckrübensuppe, am nächsten Tag Steckrübengemüse, am nächsten Tag Steckrübenpüree. Steckrüben esse ich möglichst nicht mehr. 

Es gibt heute in der internationalen Kochwelt große Stars mit Kochshows, eigenen Buchreihen und Schulen - je nach Richtung. Informieren Sie sich über die die neuen Kochtrends?

Ja, und manchmal gerate ich in eine Gesellschaft, die vegan kocht. Ich habe selbst für meinen jüngsten Sohn vegetarisch gekocht. Und man kann aus all diesen Moden köstliche Gerichte machen. Ich sammle weiterhin Zitate über Essen in der deutschen, amerikanischen oder sonstigen Literatur für den jährlichen 'Literarischen Küchenkalender'. Dabei habe ich festgestellt: In der Literatur taucht Essen eigentlich erst im vorigen Jahrhundert auf. Sonst wird das nur als Prachtessen, Hochzeitsmahl oder ähnliches beschrieben. Dass ein Alltagsessen erwähnt wird, ist eine moderne Eigenschaft. Daran sehen sie, wie sich im Laufe der Zeit in den Köpfen der Autoren das Essen festgesetzt hat. Interessant ist auch, was sie entweder schick finden für ihre Geschichte oder womit sie einen Menschen kennzeichnen, weil der immer das oder jenes kocht. In einem Jahr gibt es plötzlich überall Apfelkuchen in der Literatur. Oder ein anderes Jahr, in dem das Wiener Schnitzel seinen großen Auftritt hat: lauter Geschichten, in denen die Leute Wiener Schnitzel essen oder braten.

Ganz ohne Fleisch - die Foodtrends für 2022

Viele angesagte Köchinnen und Köche sind auch in den Sozialen Medien sehr aktiv, als sogenannte Influencer. Sie selbst haben schon in den 1980er-Jahren vegetarisch gekocht. Außerdem haben Sie damals Rezepte für Kinder oder Kochbücher für berufstätige Frauen geschrieben. Würden Sie sich selbst auch als Influencerin bezeichnen?

Na ja, du kannst jeden als Influencer bezeichnen, der etwas vorzuweisen hat und die anderen damit beeinflusst. Jeder Kochbuchautor beeinflusst die Küche derer, die ihn sozusagen zu sich einladen.

Die Rezepte und Bücher, die Sie herausgegeben haben, waren oft an bestimmten Lebensphasen orientiert und den damit verbundenen Anforderungen des Lebens, also eben für Frauen, für Kinder, für Familien. Zuletzt das "Kochbuch für die kleine alte Frau". Hatten Sie eine Lebensphase, für die Sie am liebsten gekocht haben?

Ja, natürlich. In der Zeit, in der die Kinder kleiner waren und alle Freunde noch lebten und ich große Essen gekocht habe. Die richtige Familien- und Gästeküche ist das Schönste gewesen. Den Kindern hat das auch immer viel Spaß gemacht. Einmal hatten wir den Esstisch in der Halle ausgezogen, für acht oder zwölf Leute. Ich hatte mit weißen Tellern gedeckt. Und mein jüngster Sohn, der gerade mit der Nase über den Tisch reichte, kam mit seinem Roller vorbei, guckte den Tisch an und fuhr schweigend zurück ins Kinderzimmer. Dort holte er den Beutel mit seinen roten, blauen, gelben und grünen Holzbauklötzen. Damit baute er auf jeden Teller ein kleines Förmchen, damit das schöner aussah.

Dem war das wohl ein bisschen zu schlicht.

Ja. Und das habe ich auch nicht wieder abgeräumt. Denn ich fand es so schön, dass ein Kind begreift, was eine für Freunde und Gäste gedeckte Tafel bedeutet. Sie ist das Zentrum. Wenn die Gäste kommen und sich darüber freuen oder ganz verblüfft sind.  

Die Fragen stellte Klaudia Prevezanos.