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PolitikEuropa

NATO rüstet sich gegen Russland

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert
29. Juni 2022

Mit Finnland und Schweden bekommt die NATO zwei neue Mitglieder. Die Ostflanke wird durch mehr Truppen verstärkt. Das ist der richtige Kurs gegen Putin, so lange die USA mitziehen, meint Bernd Riegert.

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Ein finnischer Soldat an einem Maschinengewähr
Finnland bringt eine hervorragend trainierte und ausgerüstete Armee in die Allianz einBild: Naina Helen Jama/TT News Agency/AFP/Getty Images

Der russische Machthaber und Kriegstreiber Wladimir Putin hat sich verrechnet. Er bekommt nicht weniger NATO, wie er es Anfang des Jahres ultimativ gefordert hatte, sondern er bekommt eine größere Allianz des Westens. Schweden und Finnland werden in Rekordgeschwindigkeit beitreten. Die Tür der NATO bleibt - wie schon 2008 zugesagt - für die Ukraine und Georgien sowie andere europäische Staaten offen. Die mörderischen Attacken Putins auf die Ukraine hat die NATO fester zusammengeschweißt als jemals zuvor seit dem Ende des Kalten Krieges. Das Gipfeltreffen der NATO in Madrid kann man deshalb zurecht historisch oder eine Zeitenwende nennen.

Die Allianz wird sich nicht nur vergrößern, sondern sich eine neue Strategie geben, die Russland als größte Bedrohung und nicht mehr als möglichen Partner beschreibt. Putin zwingt Europa, die USA und Kanada, sich wieder auf die Territorialverteidigung entlang der Ostflanke zu konzentrieren. Das wird weit reichende Folgen für die Armeen und Gesellschaften in Europa haben. Mehr Geld, mehr Personal, mehr Waffen und ein neues strategischen Denken sind nötig, um mit der Rückkehr des imperial motivierten Krieges nach Europa fertig zu werden. Die 300 000 Soldatinnen und Soldaten, die künftig in Bereitschaft gehalten werden sollen, sind nur der Anfang. Dauerhafte Stationierungen an der Ostflanke, auch von Bundeswehrsoldaten, werden nötig sein, falls sich Putin und sein System weiter an der Macht halten.

Blockieren hatte keinen Sinn

Riegert Bernd Kommentarbild App
Europa-Korrespondent Bernd Riegert

Die Türkei hat gerade noch rechtzeitig vor dem Gipfeltreffen ihr sinnloses Veto gegen ein Beitritt Schwedens und Finnlands zur Allianz fallen gelassen. Eine Zurückweisung der beiden Bewerber aus dem Norden wäre eine signifikante Schwächung der Einigkeit in der NATO gewesen. Dieses Geschenk durfte man Putin einfach nicht machen. So haben die Türkei, Schweden und Finnland unter kräftiger Mitwirkung der USA das gemacht, was man von befreundeten Staaten mitten in einer der schwersten Krise seit der Gründung der NATO erwarten kann. Sie haben sich geeinigt, zum Wohle der größeren Sache. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat einige Zusagen in Sachen Terrorbekämpfung bekommen, Erleichterungen beim Ankauf amerikanischer Kampfflugzeuge und Munition für sein innenpolitisches Standing in der rasanten Wirtschaftskrise. Er kann sich als den starken Mann verkaufen, der für türkische Interessen eintritt.

Schweden und Finnland können die Zusagen, die sie der Türkei gegeben haben, locker wegstecken. Die Auslieferung von kurdischen Terror-Verdächtigen an die Türkei wird geprüft werden. Ob sie stattfinden wird, hängt auch davon ab, ob die Türkei rechtsstaatliche Verfahren zusichern kann, was bezweifelt werden muss. Schweden und Finnland erhalten im Gegenzug mehr Sicherheit und Solidarität in der Allianz.

Die Ostflanke der NATO wird durch Finnlands direkte Grenze mit Russland noch einmal 1300 Kilometer länger. Sie muss geschützt werden. Das sagen die übrigen 31 NATO-Mitglieder Finnland zu. Finnland bringt andererseits eine hervorragend trainierte und ausgerüstete Armee in die Allianz ein, die russische Angriffsgelüste im Norden im Zaum halten dürfte. Die finnische und schwedische Armee werden eine wertvolle Ergänzung für die NATO sein. Sie wird stärker werden. Soldaten aus Finnland und Schweden werden demnächst auch bei der Verteidigung der baltischen Staaten und der Beherrschung der Ostsee eine größere Rolle spielen.

Infografik Militärkräfte Finnland Schweden DE

"Hirntod" ist eine Gefahr

Der künftige Kurs der NATO steht also fest: Verteidigung gegen die russische Bedrohung, gemeinsam, mit allen konventionellen Mitteln, mit Abschreckung, mit massiven Truppenkontingenten. Das, was man als überwunden geglaubt hatte in Europa, kehrt mit Macht zurück. Wie ernst die Lage für die NATO noch wird, hängt jetzt vom Ausgang des russischen Krieges in der Ukraine ab. Fällt die Ukraine, dann könnten das Baltikum, Moldau oder Georgien die nächsten Ziele des Putinschen Größenwahns sein. Wird Russland zurückgeschlagen, muss die NATO massive Eindämmungspolitik betreiben.

Großbritannien Watford 2019 | Nato-Gipfel | Jens Stoltenberg & Donald Trump
NATO-Gipfel 2019: Trump (Mi.) wollte in eine andere RichtungBild: Francisco Seco/AP Photo/picture alliance

Der künftige Kurs der NATO hängt massiv vom größten und wichtigsten Verbündeten USA ab. Die Biden-Regierung steht fest zum Bündnis, da muss man sich wenig Sorgen machen. Gewinnt aber ein Republikaner, oder gar Donald Trump, die Wahlen 2024, dann schlittert die NATO erneut in eine tiefe Krise. Ob die Europäer dann schon nach französischem Modell so "souverän" sind, sich alleine zu verteidigen, ist sehr zweifelhaft.

Im Moment ist die Allianz quicklebendig, aber der "Hirntod" ist eine nicht zu unterschätzende Gefahr, zumal Trump und Co. bereit wären, die Ukraine zu opfern um Russlands Machthaber entgegen zu kommen.

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union