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Glaube

Paradise regained – Das zurückgewonnene Paradies

8. Juli 2022

Ein Umzug in eine andere Stadt weckt bei der Autorin zwiespältige Gefühle. Wie findet man den Ort, an dem man endlich ankommen kann?

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Deutschland Umwelt l Straßenverkehr, Autobahn in Frankfurt
Bild: Michael Probst/AP/picture alliance

Ich sitze im Auto und fahre auf der Autobahn Richtung Norden. Schon fast die Hälfte der knapp 500 km-Strecke ist geschafft. Gut gelaunt und ziemlich schief trällere ich meine Lieblingshits aus dem Radio mit und drücke aufs Gas. Für den kilometerlangen Stau auf der Gegenfahrbahn habe ich nur einen kurzen mitleidigen Blick übrig. „Na, hoffentlich bleibt mir der auf der Rückfahrt erspart“, denke ich.

Da durchfährt mich die Erkenntnis wie ein Blitz: Für mich wird es keine Rückfahrt geben! Jedenfalls nicht so bald. Denn ich fahre nicht in den Urlaub oder zu irgendeinem Termin. Nein, ich bin – sozusagen one-way – unterwegs in meine neue Heimat. Kein Rückfahrtticket gebucht. Der vollgepackte Umzugswagen einige Kilometer hinter mir ist der Beweis: Nach vielen Jahren in Süddeutschland werden mein Mann und ich nun unser Lager in Bonn aufschlagen. Für wie lange oder gar für immer, das ist ungewiss. So wie überhaupt fast alles, was vor uns liegt. Denn wir haben unser bekanntes und vertrautes zu Hause hinter uns gelassen und fangen hunderte von Kilometer entfernt noch einmal neu an.

Während ich weiter geradeaus fahre, wird mir klar, wie zwiespältig meine Gefühle gegenüber diesem Umzug sind. Plötzlich fühle ich mich heimatlos, irgendwie zwischen den Welten, und ich frage mich, ob diese fremde Stadt für mich zu einem zu Hause, zu einer Heimat werden kann.

Klar, flexibel zu sein, insbesondere, wenn es um den Job geht, das gehört heutzutage einfach dazu. Während meine Großeltern ihr ganzes Leben am selben Ort verbracht haben, bin ich bereits in meiner Kindheit zweimal umgezogen. Häufige Wohnortwechsel sind gerade bei jungen Menschen und Familien ganz normal. Die Möglichkeit dazu zu haben, bedeutet schließlich auch Freiheit.

Ganz anders verhält es sich, wenn man gezwungen ist, seine Heimat zu verlassen und an einem fremden Ort zu leben. Wenn einem keine andere Wahl bleibt, als „ins Exil zu gehen“.

Weit weg von zu Hause, in der Fremde sein zu müssen, ist dabei nicht nur eine schmerzvolle Erfahrung, die Menschen bis heute in der Welt immer wieder machen müssen. Es ist auch eines der zentralsten Themen in der Bibel.

Schon auf der ersten Seite, in der Erzählung über die Schöpfung der Welt, begegnen uns in Adam und Eva zwei Menschen, die zunächst mit einem paradiesischen zu Hause gesegnet sind; dem Garten Eden. Schon bald aber müssen sie eben dieses zu Hause verlassen und werden ins Exil geschickt werden, weil sie Gott nicht vertraut und seine Ordnung nicht eingehalten haben. Von da an zieht sich die Erzählung über die Odyssee des Menschen, sein Exil und seine Suche nach der verlorenen Heimat wie ein roter Faden durch die ganze biblische Geschichte. Immer wieder landen die Menschen in der Fremde und immer wieder beruft Gott einzelne Retter, die sein Volk zurück in die verheißene Heimat führen sollen. Die Bibel verarbeitet damit die Erfahrung des babylonischen Exils: Jenes historische Trauma ca. 600 v. Chr., bei dem das israelische Volk von den Babyloniern erobert und ins Exil verschleppt worden ist.

In dieser Situation schenkt die Bibel den Menschen Hoffnung:  Egal, wie aussichtslos die Lage auch scheint, Gott wird sein Volk nicht vergessen. Er führt es aus der Fremde zurück in das sichere zu Hause.

Doch als sich diese Hoffnung endlich erfüllt und die Israeliten aus Babylon in ihr Heimatland zurückkehren dürfen, erfolgt der eigentliche Schock: Denn die Heimat ist nicht mehr das traute Heim, an das man sich im Exil so sehnsuchtsvoll erinnert hat. Nein, die Heimat selbst ist zu Fremde geworden, in der Korruption, falsche Götter und fremde Herrscher regieren. Obwohl die Israeliten also wieder zu Hause sind, scheint das Exil nicht vorbei zu sein. Aber wie kann das sein? Wie kann ein Mensch zu Hause und doch in der Fremde sein?

Die Reflexion über diese Frage führt in der Bibel zu einer Einsicht, die über das historische Ereignis weit hinaus geht:  Egal wo der Mensch ist, er hat eine Sehnsucht nach mehr. Er sehnt sich nach etwas, dass kein Ort auf dieser Welt ihm geben kann: Nach einem Frieden und einer Liebe, die so ungebrochen und paradiesisch sind, das kein noch so trauliches Heim fähig ist, sie zu stillen. Denn ganz gleich wie schön mein zu Hause auch ist und ob ich in Bonn oder in Süddeutschland wohne – die Welt, in der ich lebe, bleibt voller zerbrochener Beziehungen, Tragödien und Tod. Überall begegnet mir ein Babylon, dem ich nicht entkommen kann – ja, das ich vielleicht sogar selbst mitgeschaffen habe! Und am Ende bleibt da vielleicht immer dieses Autobahn-Gefühl: Heimatlos, zwischen den Welten und voller Ungewissheit, ob ich am Ende wirklich und endlich ankommen kann.

Wenn das Exil aber tatsächlich ein treffendes Bild für die Verfasstheit des Menschen ist – wie finde ich dann den Weg nach Hause?

Der Schriftsteller C.S. Lewis hat einmal gesagt: „Wenn ich in mir eine Sehnsucht entdecke, die keine Erfahrung in dieser Welt stillen kann, ist die wahrscheinlichste Erklärung, dass ich für eine andere Welt geschaffen worden bin.“[1] Und der Apostel Paulus erinnert die ersten christlichen Gemeinden in einem seiner Briefe: „Unsere wirkliche Heimat ist im Himmel!“[2]

Jesus, so glauben die Christen, ist als Sohn Gottes selbst ins Exil und zu den Menschen gegangen, um ihnen den Weg nach Hause zu zeigen. Er hat sich um die Menschen gekümmert, die kein zu Hause hatten und gesagt: Wer den Weg zurück ins verlorene Paradies – dem Reich Gottes – finden will, der muss meinen Weg der Liebe, der Demut und der Vergebung gehen.

Die himmlische Heimat ist dabei nicht einfach nur ein jenseitiger Ort irgendwo am Ende der Autobahn und auch kein Fleck, der auf der Landkarte zu finden ist. „Man kann auch nicht sagen: Seht, hier ist es! oder: Dort ist es!“, sagt Jesus, sondern „das Reich Gottes ist inwendig in euch!“[3]

Der Himmel – er fängt in meinen Herzen an. Von dort wachse ich über mich hinaus in den Himmel hinein. Für die Suche nach meiner wahren Heimat – dem Ort, an dem ich endlich ankommen kann – muss ich also nicht außen, sondern nach innen gehen. Hier, in meinem Herzen, beginnt der Weg nach Hause, der Weg zu Gott.

Um diesen Weg aber gehen zu können, dafür muss ich mein selbstgeschaffenes Exil überwinden: All die Schlösser und Mauern aus Egoismus und Ängstlichkeit, in denen ich es mir bequem gemacht habe. Ich muss aus mir heraus auf meine innere Straße und die führt mich weder nach Norden noch nach Süden – sie führt mich nach oben. Weil Jesus zu mir herabgekommen ist. Wenn ich ihn in mein Herz lasse, dann bringt er mich nicht nur heim. Nein, dann bin ich schon zu Hause - denn egal wo ich bin, die Spur zu Gott finde ich immer in mir.

 

Deutschland Anna-Marleen Wolter
Bild: Robin Heuser

Anna-Marleen Wolter (Jahrgang 1988) ist in Limburg an der Lahn groß geworden und hat in Freiburg Theologie studiert. Nach dem Studium war sie im Schwarzwald und am Bodensee als Pastoralreferentin tätig und ist als Radioautorin derzeit bei den SWR4-Abendgedanken zu hören. Vor kurzem ist sie mit ihrem Mann nach Bonn gezogen.

 

[1] C.S. Lewis, Mere Christianity, 135f.

[2] Phil 3, 20.

[3] Lk 17, 21. Die neue EU übersetzt LK 17, 21 mit „das Reich Gottes ist mitten unter euch“. Tatsächlich steht im Griechischen: ἰδοὺ γὰρ ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ ἐντὸς ὑμῶν ἐστιν.“ Was ganz wörtlich heißt: „Siehe, denn das Königreich Gottes ist innerhalb von euch“. Diese Lesart wird auch von der Vulgata bestätigt: "ecce enim regnum Dei intra vos est“, also ist in euch.