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Konflikte

Aktuell: Neue Marinedoktrin Putins nimmt USA ins Visier

31. Juli 2022

Am "Tag der Seestreitkräfte" bekräftigt der Kremlchef Russlands Kampfbereitschaft auf den Weltmeeren. Der ukrainische Präsident fordert die Bewohner der Region Donezk auf, das Gebiet zu verlassen. Ein Überblick.

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Der russische Präsident Wladimir Putin nimmt die Militärparade in St. Petersburg ab
Der russische Präsident Wladimir Putin nimmt die Militärparade in St. Petersburg abBild: Dmitri Lovetsky/AP/picture alliance

Das Wichtigste in Kürze

  • Kreml-Chef Putin setzt neue Marine-Doktrin in Kraft 
  • Gouverneur von Sewastopol berichtet von ukrainischer Drohnenattacke
  • Präsident Selenskyj ruft zur Räumung der Ostukraine auf 
  • Papst fordert Waffenstillstand und Verhandlungen für Ukraine
  • Lindner will nicht länger mit Gas Strom produzieren lassen

 

Russlands Präsident Wladimir Putin hat zum "Tag der Seestreitkräfte" in St. Petersburg eine neue Marinedoktrin in Kraft gesetzt. Dort seien auch Russlands Seegrenzen, darunter in der Arktis und im Schwarzen Meer festgelegt worden. "Den Schutz werden wir hart und mit allen Mitteln gewährleisten", betonte der Kremlchef bei einer Parade mit Kriegsschiffen.

In der neuen Doktrin wurde festgeschrieben, dass das Streben der USA nach Dominanz auf den Weltmeeren eine "Herausforderung für die nationale Sicherheit Russlands" sei. Das von Putin feierlich unterzeichnete Dokument sieht auch vor, dass die militärische Infrastruktur auf der annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim ausgebaut wird. Laut der Doktrin ist zudem der Bau von modernen Flugzeugträgern vorgesehen. Russland hat im Schwarzen Meer zahlreiche Kriegsschiffe bei den Angriffen gegen die Ukraine im Einsatz.

Kremlherrscher Putin, Marinechef Nikolai Jewmenow und Verteidigungsminister Sergej Shoigu grüßen Kriegsschiffe
Kremlherrscher Putin, Marinechef Nikolai Jewmenow und Verteidigungsminister Sergej Shoigu grüßen Kriegsschiffe Bild: Mikhail Klimentyev/AP/picture alliance

Bei dem Auftritt vor Tausenden Zuschauern ging Putin allerdings nicht direkt auf den russischen Angriffskrieg ein. Er dankte der Kriegsmarine für ihre Einsätze, die sie seit Jahrhunderten leiste, und lobte ihre hohe Verteidigungsbereitschaft. Vor seiner Rede hatte Putin auf einem Boot während einer Fahrt von Kronstadt nach St. Petersburg die Parade abgenommen. 

Russische Marine erhält demnächst Hyperschall-Raketen

Putin kündigte ferner an, dass die russische Flotte schon bald mit neuen Hyperschall-Raketen vom Typ Zirkon ausgestattet werde. "Ihre Auslieferung an die russischen Streitkräfte wird in den nächsten Monaten beginnen", sagte Putin in St. Petersburg. Diese hochmoderne Waffe kenne "kein Hindernis".   Die Marine sei in der Lage, "jedem, der sich entschließt, unsere Souveränität und Freiheit zu verletzen, einen vernichtenden Gegenschlag zu versetzen", sagte Putin.

Russland | Abschuss Zirkon-Rakete
Dieses Foto des russischen Verteidigungsministeriums soll den Start einer Zirkon-Rakete im Weißen See zeigen (Archivbild)Bild: Russian Defence Ministry/picture alliance/dpa

Zirkon-Raketen haben eine maximale Reichweite von etwa tausend Kilometern und gehören zu einer neuen von Russland entwickelten Waffengattung, die Putin als unbesiegbar bezeichnet hatte. Die Rakete war erstmals im Oktober 2020 getestet worden, seitdem folgten mehrere weitere Versuche. Nach Angaben des Kreml-Chefs wird die Fregatte "Admiral Gortschkow" als erstes russisches Schiff mit der neuen Waffe ausgerüstet. Das Einsatzgebiet des Schiffes hänge dann von den "Sicherheitsinteressen Russlands" ab.

Generalstab der Schwarzmeerflotte mit Drohne angegriffen

In Sewastopol auf der Halbinsel Krim ist nach russischen Angaben der Stab der Schwarzmeerflotte mit einer Drohne angegriffen worden. Fünf Menschen seien verletzt worden, teilte der Gouverneur von Sewastopol, Michail Raswoschajew, im Nachrichtenkanal Telegram mit. Die Drohne sei in einem Hof des Stabquartiers eingeschlagen. Russland hatte die Krim 2014 völkerrechtswidrig annektiert. 

Es ist das erste Mal seit Beginn des Angriffskriegs auf die Ukraine am 24. Februar, dass die russischen Behörden eine derartige Attacke auf ihre Streitkräfte melden. Die Ukraine bestritt inzwischen den Angriff. Die russischen Anschuldigungen seien "eine absichtliche Provokation", sagte ein Sprecher der Regionalverwaltung von Odessa in einem Video.

Ukraine meldet "massiven" Beschuss auf Mykolajiw

Die ukrainischen Behörden haben erneute heftige Angriffe auf die südliche Stadt Mykolajiw gemeldet. Die Stadt sei "massiv" und "wahrscheinlich so stark wie nie" unter Beschuss genommen worden, erklärte der Bürgermeister Oleksandr Senkewytsch. "Starke Explosionen waren nach ein Uhr nachts und gegen fünf Uhr zu hören." Demnach wurde eine Reihe von Wohngebäuden beschädigt.

Blick auf das stark beschädigte Gebäude der Regionalregierung von Mykolajiw (Foto vom 19. Juli)
Blick auf das stark beschädigte Gebäude der Regionalregierung von Mykolajiw (Foto vom 19. Juli) Bild: dpa

Im Krankenhaus in Mykolajiw erlagen zwei Männer ihren Verletzungen durch einen Angriff auf eine Bushaltestelle am Freitag. Die Zahl der Todesopfer dieses Angriffs stieg damit auf sieben. Die südukrainische Regionalhauptstadt wird seit Wochen fast täglich attackiert. 

Bei den Angriffen auf Mykolajiw wurde einer der wichtigsten Getreidehändler der Ukraine getötet. Oleksij Wadaturskyj, Eigentümer des Unternehmens für Getreidelogistik Nibulon, kam nach Angaben ukrainischer Behörden zusammen mit seiner Ehefrau Raissa in seinem Wohnhaus ums Leben. Das Unternehmen hat eine eigene Schiffsflotte für den Export von Weizen, Gerste und Mais. Der ukrainische Präsidentenberater Mychailo Podoljak schrieb im Online-Dienst Telegram, Wadaturskyj sei absichtlich getötet worden. Das Geschoss habe das Schlafzimmer des Wohnhauses der Familie getroffen, es gebe "keine Zweifel": "Wadaturskyj war das Ziel."

Selenskyj ruft zum Räumen der Region Donezk auf 

"Bitte folgen Sie der Evakuierung", appellierte der ukrainische Staatschef Wolodymyr Selenskyj an die Menschen in der Region Donezk. "Glauben Sie mir", sagte er in flehendem Ton in einer neuen Videoansprache. "Je mehr Menschen aus dem Donezker Gebiet gehen, desto weniger Leute kann die russische Armee töten." Es werde alles organisiert für die Flucht aus den von der Ukraine noch kontrollierten Gebieten der Region.

Zugleich beklagte der Präsident, dass viele Bürger noch immer nicht einsichtig seien: "Im Donbass sind Hunderttausende Menschen, Zehntausende Kinder. Viele lehnen es ab, zu gehen." Andere Ukrainer müssten in der Sache Überzeugungsarbeit leisten. "Wenn Sie die Möglichkeit haben, sprechen Sie bitte mit denen, die noch in den Kampfgebieten im Donbass leben", bat Selenskyj. "Bitte überzeugen Sie sie davon, dass es notwendig ist, zu gehen." Die Bewohner würden für das Verlassen der Region eine Entschädigung erhalten.

ARCHIV | Ukraine Kiew | Präsident Wolodymyr Selenskyj
Wolodymyr Selenskyj: "Brechen Sie auf, wir helfen"Bild: Valentyn Ogirenko/REUTERS

Selenskyj forderte die internationale Gemeinschaft abermals auf, Russland zu isolieren. Wenn Russland von der US-Regierung als "Terrorstaat" eingestuft werde, würden alle Partner die Verbindungen dorthin kappen. Je schneller das geschehe, desto rascher werde die Welt vor dem "Bösen" geschützt.

Mit Nachdruck verurteilte Selenskyj noch einmal die Tötung von ukrainischen Kriegsgefangenen in einer Haftanstalt in Oleniwka (Region Donezk). "Das ist ein Massenmord", betonte der 44-Jährige in seiner Ansprache am Samstagabend.

Russland angeblich zur Untersuchung bereit

Nach russischer Darstellung waren in der Haftanstalt am Freitag etwa 50 Gefangene durch einen Raketenangriff von ukrainischer Seite getötet worden. Die Ukraine wiederum wirft Russland vor, die Soldaten gezielt getötet zu haben. In dem Gefängnis befanden sich viele Kämpfer des Asow-Regiments, das sich im Mai ergeben hatte. 

Ukraine: Hilfe für traumatisierte Soldaten

Die russische Regierung hat nach eigenen Angaben Experten der Vereinten Nationen und des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz dazu eingeladen, die Umstände des Beschusses des Gefängnisses zu untersuchen. Russland wolle eine unabhängige Untersuchung, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau am Samstagabend mit.

Papst fordert Waffenstillstand und Verhandlungen für Ukraine

Der Papst hat dazu aufgerufen, die Kriegsgewalt in der Ukraine zu beenden und über konkrete Friedensschritte zu verhandeln. "Wenn man den Schaden bedenkt, den der Krieg dem Volk, aber auch der gesamten Welt jeden Tag zufügt, wäre die einzig vernünftige Sache, damit aufzuhören und zu verhandeln", sagte das 85 Jahre alte Oberhaupt der katholischen Kirche vor zahlreichen Pilgern und Rom-Besuchern auf dem Petersplatz. Weisheit möge zu konkreten Friedensschritten inspirieren, ergänzte er. Franziskus erklärte, auf seiner zurückliegenden Kanada-Reise stets für die Menschen in der Ukraine und ein Ende des Krieges gebetet zu haben. Er fordert seit Monaten Frieden. In seiner Auslegung der tagesaktuellen Bibelstelle, die er traditionell am Sonntag macht, kritisierte der Papst die Gier nach Reichtum, die hinter Kriegen und Konflikten stecke. Eines dieser Interessen sei der Waffenhandel.

Lindner gegen weitere Stromproduktion mit Gas

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) aufgefordert, die Stromproduktion mit Hilfe von Gas zu stoppen. "Wir müssen daran arbeiten, dass zur Gaskrise nicht eine Stromkrise kommt", sagte Linder der Zeitung "Bild am Sonntag". "Deshalb darf mit Gas nicht länger Strom produziert werden, wie das immer noch passiert." Habeck habe die gesetzliche Ermächtigung, dies zu unterbinden, fügte Lindner hinzu.

Keine Windkraft ohne Gas

Der Finanzminister sprach sich in diesem Zusammenhang erneut für einen Weiterbetrieb der Atomkraftwerke in Deutschland aus, um "andere Stromkapazitäten" zu erhalten. "Vieles spricht dafür, die sicheren und klimafreundlichen Kernkraftwerke nicht abzuschalten, sondern nötigenfalls bis 2024 zu nutzen", sagte er.

Wegen der Sorge vor einem völligen Stopp russischer Gaslieferungen wird derzeit eine mögliche Verlängerung der Laufzeiten der drei letzten noch aktiven Atomkraftwerke in Deutschland diskutiert, die laut Gesetz Ende Dezember vom Netz gehen müssten. 

kle/qu/sti/se/wa/fw (dpa, afp, rtr)

Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.