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Christen aus aller Welt in Deutschland

30. August 2022

Delegierte von 350 Kirchen beraten über Klimawandel und Spaltung der Welt in Nord und Süd. Nicht nur Russlands Angriff auf die Ukraine birgt Streitpotenzial.

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Blick auf einen großen Platz mit einem gelben Rundbau im Hintergrund. Neun Personen halten stehend oder knieend eine riesige weiße Fahne mit farbigen Linien darauf in die Kamera
Die Fahne des Ökumenischen Rats der Kirchen (ÖRK) ist ausgerollt vor dem Schloss in KarlsruheBild: epd-bild/Peter Sandbiller

Es ist das größte Treffen von Kirchen aus aller Welt. An diesem Mittwoch (31. August) beginnt im südwestdeutschen Karlsruhe die elfte Vollversammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen (ÖRK). Dazu werden bis zu 4500 Christinnen und Christen aus 120 Ländern erwartet. Erstmals in der 74-jährigen Geschichte des ÖRK mit Sitz im schweizerischen Genf kommt eine Vollversammlung nach Deutschland.

Überschattet wird das bis zum 8. September dauernde Treffen vom russischen Angriffskrieg auf die Ukraine - unter dem Segen der Putin-nahen russisch-orthodoxen Kirche.

Eine ältere Frau in Mantel und Mütze mit Stock hält sich erschrocken die linke Hand vor den Mund, im Hintergrund ist ein Gottesdienstraum mit Tischen und Heiligenfiguren zu erkennen, auf dem Boden liegen zerstörte Gegenstände
In der Ukraine wurden bei russischen Angriffen zahlreiche Kirchen zerstört oder beschädigtBild: Petros Giannakouris/dap/AP/picture alliance

Seit Monaten gibt es Forderungen, die russische Orthodoxie vom Treffen in Karlsruhe auszuschließen. Deren Patriarch Kirill, in frühen Jahren KBG-Mann wie Wladimir Putin, verkauft den Überfall als Verteidigung christlicher Werte gegen westliche Dekadenz.

"Den Dialog fördern"

Die ÖRK-Verantwortlichen halten trotz vieler Kritik an der Teilnahme der Moskauer Delegation fest. "Der Ökumenische Rat der Kirchen wurde gegründet, um den Dialog zwischen den Kirchen zu fördern, die sich untereinander nicht einig sind", sagte Ioan Sauca (66) bei einem Ukraine-Besuch im August. Der geschäftsführende ÖRK-Generalsekretär ist rumänischer Theologe und Priester der rumänisch-orthodoxen Kirche.

Ein älterer Mann mit weißen Haaren in einem braunen Gewand mit einer Kette um den Hals schaut freundlich in die Kamera
Ioan Sauca, amtierender Generalsekretär des Ökumenischen Rats der Kirchen (ÖKR)Bild: Ivars Kupcis/WCC

Man wolle ÖRK-Mitglieder nicht ausschließen, argumentierte Sauca, sondern diese "herausfordern, sich für Gerechtigkeit und Frieden einzusetzen". Nun sollen in Karlsruhe bei einem Podium Repräsentanten aller in der Ukraine aktiven Kirchen miteinander sprechen. Das ist bemerkenswert, weil der Konflikt seit der russischen Invasion religiös aufgeladen ist.

Sauca verwies auf die Gründungsidee des auch als Weltkirchenrat bezeichneten ÖRK. Die Gründung 1948 war auch eine Reaktion auf den Zweiten Weltkrieg. Damals kamen in Amsterdam 147 zumeist protestantische Kirchen aus 44 Ländern zusammen. Zu den Themen, die den ÖRK seitdem prägen, gehören der Einsatz für den Frieden, das Engagement gegen Rassismus, Gleichberechtigung der Geschlechter, der Klimawandel und - zusehends stärker - der Nord-Süd-Konflikt.

Heute gehören dem ÖRK 352 zumeist evangelische, anglikanische und orthodoxe Kirchen an, die nach seinen Angaben mehr als 580 Millionen Christinnen und Christen vertreten. Die katholische Kirche ist kein Mitglied, hat aber einen Gaststatus. Der Ökumene-Kardinal des Vatikan ist in Karlsruhe Gast bei der ersten ÖRK-Vollversammlung in Europa seit der Gründung 1948.

Ein älterer weißhaariger Mann mit Brille im weißen Hemd und dunklen Anzug trägt einen bunten Schal. Er steht vor einem blau-gelben Hintergrund an einem Stehpult mit Mikrofonen und hebt den linken Arm mit erhobenem Zeigefinger
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier beim Deutschen Katholikentag im Mai 2022 in StuttgartBild: Marijan Murat/dpa/picture alliance

Zur Eröffnung des vielsprachigen und angesichts ganz unterschiedlicher Glaubenstraditionen auch bunten Treffens kommt als Hauptredner auch der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.

"Die Christinnen und Christen aufrütteln"

Die evangelische Theologin Margot Käßmann betont die Möglichkeiten und die Grenzen des Weltkirchenrats. Natürlich könne der ÖRK "keine Gesetze oder Direktiven für die Kirchen erlassen. Aber er kann die Menschen mitnehmen, begeistern, die Christinnen und Christen tatsächlich auch aufrütteln", sagt sie: "Er hat allein die Macht des Wortes."

Bevor die heute 64-jährige Käßmann in Deutschland als Kirchentags-Generalsekretärin und Bischöfin bekannt wurde, hatte sie sich schon knapp zwei Jahrzehnte beim Weltkirchenrat engagiert. Sie erinnert sich: "Ich war bei der Vollversammlung 1983 in Vancouver dabei, in Zeiten des Kalten Krieges; da war die Friedensinitiative ganz stark. Das Treffen setzte Impulse."

Eine Frau mit kurzen dunklen Haaren im weißen Shirt und grünen Blazer hebt - offenbar im Sprechen - die geöffneten Hände
Die evangelische deutsche Theologin Margot Käßmann engagiert sich schon lange beim ÖRKBild: Julian Stratenschulte/dpa/picture alliance

Was erhofft sich Käßmann nun vom ÖRK-Großtreffen? Ihr sei "ungeheuer wichtig, dass von Karlsruhe ein Signal an die Kirchen des Westens ausgeht, dass wir den globalen Süden nicht vergessen dürfen, sondern dass wir in dieser einen Welt zusammengehören", sagt sie: "Unser Verhalten, auch unsere Wirtschaftssanktionen, haben Einfluss auf die Länder des globalen Südens. Dem müssen sich die Kirchen in Europa stellen."

Krisen und Sorge vor Antisemitismus

Seit langem geplant sollte das Treffen in Karlsruhe - neben theologischen Fragen - vor allem dem internationalen Dialog der Weltgemeinschaft, dem Kampf gegen Hunger und Armut in der Welt, dem Austausch über Klima- und Umweltschutz dienen. 2020 kam die Corona-Pandemie, die viele Probleme zu Lasten ärmerer Länder verschärfte, schließlich begann im Februar 2022 der russische Krieg gegen die Ukraine.

Die Kenianerin Agnes Abuom, seit 2013 Vorsitzende des ÖRK-Zentralausschusses, der die Arbeit der Weltorganisation prägt, nennt auch den von Europäern oft ausgeblendeten Konflikt in Äthiopien. Der ÖRK wolle "Heilung, Versöhnung und Einheit für alle".

Eine Frau mit weißem Tuch über den dunklen Haaren blickt ernst in die Kamera
Die Kenianerin Agnes Abuom, Vorsitzende und Moderatorin des ÖRK-ZentralausschussesBild: Ivars Kupcis/WCC

Seit Wochen prägt ein weiteres Thema mit Konfliktpotenzial den Blick auf Karlsruhe. Jüdische Vertreter befürchten israelkritische oder sogar antisemitische Debatten. Sie warnen davor, die Lage in den Palästinensergebieten mit dem früheren rassistischen System der "Apartheid" in Südafrika gleichzusetzen.

Angefeuert wurde die Kontroverse im Juni durch die Wahl des südafrikanischen Theologen Jerry Pillay (57) zum nächsten Generalsekretär des Weltkirchenrats. Der Presbyterianer soll das Amt zum Jahreswechsel antreten. Sprecher mehrerer jüdischer Organisationen werfen Pillay "offene Feindschaft" gegenüber Juden und Israel vor. So habe er Israel mit dem früheren südafrikanischen Apartheid-Staat verglichen.

Die Israelitische Religionsgemeinschaft in Baden (IRG), zu der Karlsruhe gehört, warnte am Montag davor, das Existenzrecht Israels zu bestreiten. Während der Streit um den Antisemitismus bei der documenta-Kunstschau noch läuft, fürchten jüdische Repräsentanten weitere Israelkritik, die aus Deutschland in die Welt verkündet werden könnte.