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PolitikNahost

Tödliche Pillen im Jemen

Safia Mahdi Sanaa
8. November 2022

Der Jemen ist von Krieg und Armut gezeichnet - und leidet deshalb auch an einem Mangel an Medikamenten. So hat sich ein großer Schwarzmarkt entwickelt. Die Folgen sind mitunter tödlich. Safia Mahdi berichtet aus Sanaa.

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Ein Kind in einem Bett in dem Krankenhaus in Sanaa, in dem die jungen Leukämie-Patienten ums Leben kamen.
Die Opfer sind oft Kinder: In diesem Krankenhaus in Sanaa kamen mehrere junge Leukämie-Patienten ums LebenBild: Farouk Mokbel/DW

Nach der Geburt von Ahmed, dem ersten männlichen Nachkommen, war die Freude bei Abdullah Al-Masajdi und seiner Familie groß. Nie wären er oder seine Frau auf den Gedanken gekommen, dass ihr Sohn nur zweieinhalb Jahre nach der Geburt durch ein kontaminiertes Medikament während der Behandlung in einem Krankenhaus in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa sterben könnte.

Dann aber erfuhr die Familie, dass ihr Sohn nicht das einzige Opfer kontaminierter, nicht offiziell lizenzierter oder abgelaufener Medikamente war. Insgesamt berichteten 19 Familien, bei der Behandlung ihrer an Leukämie erkrankten Kinder sei es zu gefährlichen Komplikationen gekommen. Zehn Kinder starben, die anderen wurden in Notfallzentren gebracht. Befürchtet wird, dass sie schwere gesundheitliche Schäden davontragen könnten.

Ein mit Cholera infiziertes Kind erhält in einem Gesundheitszentrum im Jemen eine medizinische Behandlung
Medikamente als Risiko: Ein mit Cholera infiziertes Kind im Jemen erhält eine medizinische BehandlungBild: Mohammed Mohammed/dpa/picture alliance

Mit Bakterien verseucht

Anfang Oktober griffen lokale Medien die Todesfälle erstmals auf. Unklar ist, ob ausschließlich Kinder, die wegen Blutkrebs behandelt wurden, betroffen sind. Die Gesundheitsbehörden in Sanaa teilten mit, die Todesfälle seien auf ein nichtlizenziertes, ins Land geschmuggeltes Medikament zurückzuführen. Insgesamt seien 29 Kinder mit diesem Medikament behandelt worden. Zwei vergleichbare Fälle seien auch in einem Krankenhaus in der Region Hadramut im Osten des Landes aufgetreten. In allen Fällen seien die Medikamente mit Bakterien verseucht gewesen und hätten bei den Betroffenen eine schwere Hirnhautentzündung verursacht. Derzeit ermittelt die Staatsanwaltschaft.

Zwar gelte es, die Untersuchungen der Staatsanwaltschaft abzuwarten, sagt Muhammad al-Nazili, der Vorsitzende des jemenitischen Apothekerverbandes. Grundsätzlich könnten die Todesfälle aber auch andere Ursachen haben, meint er. "Sie könnten auch auf einen unsachgemäßen Gebrauch der Medikamente zurückgehen", so der Apothekenverbands-Chef. Auch mangelhafte Sterilisation, eine fehlerhafte Kombination verschiedener Präparate sowie weitere Ursachen aus dem Bereich der Medikamentenanwendung seien nicht auszuschließen. Umso mehr komme es darauf an, die Qualitätssicherung bei Herstellung und Anwendung von Medikamenten im Jemen grundsätzlich zu verbessern.

Muhammad al-Nazili, der Vorsitzende des jemenitischen Apothekerverbandes.
"Zahlreiche Todesursachen möglich": Muhammad Al-Nazili, Vorsitzender des jemenitischen ApothekerverbandesBild: Safia Mahdi/DW

Mangel durch Krieg und Armut

Erste Untersuchungen lassen jedoch vermuten, dass die Medikamente in die Versorgungssysteme der jemenitischen Krankenhäuser geschmuggelt wurden. Durch den seit Jahren anhaltenden Bürgerkrieg ist die medizinische Versorgung des Jemen, ungeachtet des zuletzt geschlossenen Waffenstillstands, weitgehend lahmgelegt. Die Folgen des Krieges - so etwa die zahllosen Landminen - erschweren den Alltag im ärmsten Land der arabischen Halbinsel enorm und machen ihn gefährlich. Zahlreiche pharmazeutische Unternehmen haben sich aus dem Land zurückgezogen, die von ihnen hergestellten Medikamente sind kaum noch erhältlich. Die Blockade des Landes durch die internationale, von Saudi-Arabien angeführte Kriegskoalition gegen die in Sanaa und weiteren Landesteilen regierenden aufständischen Huthis verschärft die Notlage zusätzlich. So hat sich ein enormer Markt für ins Land geschmuggelte Medikamente entwickelt. Diese werden offenbar auch in Krankenhäusern des Landes eingesetzt.

Tatsächlich sei der jüngste Fall nur einer von mehreren, die auf kontaminierte oder abgelaufene Medikamente oder auch einen unsachgemäßen Gebrauch zurückgingen, sagt Fadel Moqbel Mansour, Direktor des jemenitischen Verbraucherschutzverbandes, im DW-Interview. Zwar hätte die Behörde umgehend die Rücknahme des Medikaments angeordnet. "Allerdings gibt es Hunderte ähnlicher Fälle. Denn mittlerweile stammen die meisten Medikamente aus dem nichtlizenzierten Markt", so Mansour. "Das Ergebnis sehen wir jetzt."

Zwar linderten einige der ins Land geschmuggelten Medikamente die Mangelsituation. Doch insgesamt stelle diese Praxis ein erhebliches Risiko für die Patienten dar. Denn Transport und Lagerung der Medikamente setzten hohe technische Standards voraus.

Diese würden auf dem Schwarzmarkt aber nicht erfüllt. Auch die geschmuggelten Medikamente selbst erfüllten meist nicht die amtlichen Zulassungsvoraussetzungen.

Fadel Moqbel Mansour, Präsident des jemenitischen Verbraucherschutzes
"Die meisten Medikamente stammen aus dem nicht-lizensierten Markt": Verbraucherschutz-Präsident Fadel MansourBild: Safia Mahdi/DW

50 Prozent Schmuggelware

Zwar gibt es im  Jemen  keine verlässlichen Statistiken über den Umfang geschmuggelter Medikamente. Schätzungen des jemenitischen Gesundheitsministeriums aus dem Jahr 2015 gehen jedoch davon aus, dass über 50 Prozent der auf dem jemenitischen Markt erhältlichen Arzneimittel Schmuggelware sind. Bei den meisten handele es sich um Fälschungen. "Der Medikamenten-Schmuggel ist zu einem Geschäft mit ganz eigenen Wegen und Methoden geworden", sagt Mansour. Viele sind auf schnellen Gewinn aus, auch auf Kosten der Gesundheit und des Lebens von Menschen."

Der Schmuggel ist nicht das einzige Problem auf dem jemenitischen Medikamentenmarkt. Hinzu komme, dass einige Menschen das Verfallsdatum von Medikamenten änderten - teils vielleicht aus Naivität, aber bei einigen definitiv auch aus krimineller Energie, so Mansour.

Dies führe dazu, dass immer mehr Menschen in eine Notlage gerieten. Einerseits seien sie dringend auf Medikamente angewiesen. Andererseits hätten sie Angst, dass diese gefälscht oder unsachgemäß gelagert seien, sagt Apothekenverbands-Chef Al-Nazili. Darum gelte es, im Jemen Laborkontrollen zu verschärfen und diese auszubauen. Auch müssten fehlende Medikamente dringend wieder auf regulärem Weg ins Land gebracht werden. Doch angesichts der politischen und sozialen Umstände dürfte sich dies eher schwierig gestalten - und eine schnelle Besserung der Lage scheint unwahrscheinlich.

Aus dem Arabischen adaptiert von Kersten Knipp.