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Merhaba und Shalom

Christine Gruler22. November 2003

Im historischen Arbeiterviertel Berlin-Wedding liegt die denkmalgeschützte Gartenstadt Atlantic. Ihre Sanierung ist Teil eines multikulturellen und sozialen Wohn- und Kulturprojekts - mit Vorzeigecharakter.

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Mehr als eine Sanierung: Eine alte Vision erwacht zu neuem Leben.Bild: Lichtburg-Stiftung

Rot, lindgrün und zartgelb heben sich die bereits sanierten Fassaden gegen den grauen Novemberhimmel ab. Aus der Vogelperspektive betrachtet, liegt die Gartenstadt Atlantic mit ihren 500 Wohneinheiten wie ein üppiges Tortenstück in ihrer grauen Umgebung. In den 1920er Jahren inmitten des proletarischen Wedding erbaut, war dieses Quartier von Anbeginn etwas Besonderes.

Licht, Luft, Gärten und Geselligkeit

Nicht, dass hier keine Arbeiter lebten, im Gegenteil: Gerade hier sollte es der an düstere, beengte Mietskasernen gewohnte "kleine Mann" besonders gut haben. Am Anfang stand ein sozialer Gedanke. Beeinflusst von der aus Großbritannien stammenden Reformbewegung "Garden City", sah der Entwurf des jüdischen Architekten Rudolf Fränkel vor allem eines vor: Licht, Luft und Gärten sollten auch weniger begüterten Menschen ihren Wohnraum verschönen.

Lichtburg bei Nacht
Das ehemalige Lichtburgkino bei NachtBild: Lichtburg-Stiftung

Doch damit nicht genug. Auch Zerstreuung und Geselligkeit schloss das ursprüngliche Konzept mit ein. Wichtigster planerischer Bestandteil der Gartenstadt Atlantic war die Lichtburg, ein riesiges Licht- und Filmspielhaus. Kino, Variété, Tanzsäle, Kegelbahnen und Restaurants lockten selbst Berliner aus anderen Bezirken in den Wedding. Die Volkskultur feierte launige Stunden im Vorgarten der Wohnanlage.

Doch das ist lange her. Während des Nationalsozialismus wurde die Gartenstadt Atlantic "arisiert". Später versetzte der Bau der Berliner Mauer in unmittelbarer Nähe das Quartier in eine isolierte Randlage. Seine Hauptachsen waren gekappt und als 1970 die Lichtburg dem Abbruchhammer zum Opfer fiel, war die Gartenstadt auch um ihr einstiges Herzstück beraubt. Nur noch Relikt ihrer Zeit drohte ihr seit Mitte der 1990er Jahre gar die Verslumung.

Ein deutsch-türkisch-jüdisches Integrationsprojekt

Damit ist es jetzt vorbei. Nach der teilweise abgeschlossenen Sanierung und Modernisierung der 50 Häuser lebt auch die alte Vision wieder auf: Mit bezahlbaren Mieten ermöglicht ein deutsch-jüdischer Besitzer, der ungenannt bleiben möchte, den Bewohnern das Bleiben.

"Wir haben vom Bundestagsabgeordneten bis zum sozial schwachen Türken alles in der Atlantic.", erläutert Scharzad Derakshan gegenüber DW-WORLD. Die ehemalige Holzbildhauerin arbeitet nicht nur für die Gartenstadt Atlantic, sondern ist auch für Programm und Organisation der neu gegründeten Lichtburgstiftung zuständig.

Gartenstadt Atlantic, Phantom der Lichtburg
Bild: Lichtburg-Stiftung

Dort wo früher der Amüsiertempel lockte, ist mit dem "Lichtburgforum" - einem modernen Veranstaltungssaal - ein Zentrum für dieses sozial- und integrationspolitische Musterprojekt entstanden. Als "deutsch-jüdisch-türkisch" überschrieben, will man an den sozial und kulturell motivierten Reformgedanken anknüpfen und - den veränderten Begebenheiten Berlins entsprechend - Menschen unterschiedlicher Schichten, Herkunftsgruppen und Religionen im Quartier zusammenbringen. Vor allem der große Anteil der türkischstämmigen Bevölkerung soll mit einbezogen werden.

Langer Atem ist notwendig

Ganz einfach gestaltet sich das allerdings nicht. Seit September lockt das Lichtburgforum mit einem reichhaltigen Programm aus Filmen, Lesungen, Theater und Gespräch. "Es ist leichter den Bundespräsidenten in die Lichtburg zu kriegen als teilweise Mieter der Gartenstadt", erklärt Derakshan die Problematik.

Gartenstadt Atlantic, Architektur Detail
Bild: Lichtburg-Stiftung

Auch die angestrebte multikulturelle Mischung der Mieterstruktur voranzutreiben, sei schwierig. "Das Hauptproblem ist der Standort: Kein Mensch will in den Wedding." Es ist noch ein langer Weg bis "Merhaba" und "Shalom" nebeneinander zu alltäglichen Begrüßungsformeln im Quartier und im Forum werden. Immerhin hat mit der jüdischen Wochenzeitung "Der Aufbau" schon eine prominente jüdische Institution in der Gartenstadt ihr Quartier aufgeschlagen.