1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Anwalt will Aussetzung des Verfahrens

12. Dezember 2022

Im Wirecard-Prozess hat die Verteidigung des angeklagten Ex-Vorstandschefs Markus Braun die Vorwürfe der Anklage kategorisch zurückgewiesen. Der Rechtsbeistand will die Aussetzung des Verfahrens.

https://p.dw.com/p/4KoVS
München Oberlandesgericht Beginn Wirecard-Prozess | Markus Braun
Ex-Wirecard-Chef Markus Braun (Mitte) in Begleitung seines Anwalts Alfred Dierlamm Bild: LUKAS BARTH/REUTERS

Am zweiten Verhandlungstag des Prozesses gegen den früheren Chef des insolventen Zahlungsdienstleistern Wirecard, Markus Braun und zwei weitere Angeklage, ergriff erstmals die Verteidigung das Wort. Rechtsanwalt Alfred Dierlamm warf der Staatsanwaltschaft schwere Fehler bei den Ermittlungen vor. "Die Vorverurteilung von Herrn Doktor Braun ist ebenso beispiellos wie prägend für dieses Verfahren." Der Verteidiger attackierte den Kronzeugen der Staatsanwaltschaft als völlig unglaubwürdig und warf diesem vor, der Haupttäter zu sein. "(Oliver) Bellenhaus ist nicht Kronzeuge", sagte Dierlamm. "Bellenhaus ist Haupttäter einer Bande", deren alleiniges Ziel es gewesen sei, Gelder aus dem Unternehmen herauszuleiten und zu veruntreuen.

"So handelt kein Bandenanführer!" 

Der Manager ist gemeinsam mit zwei weiteren früheren Wirecard-Führungskräften angeklagt, mit Hilfe frei erfundener Geschäfte Banken und andere Kreditgeber um mehr als drei Milliarden Euro geprellt zu haben. Verteidiger Dierlamm sagte dazu, Braun habe an das Unternehmen geglaubt und noch kurz vor dem Zusammenbruch des Konzerns Wirecard-Aktien für 2,5 Millionen Euro gekauft. "Eine geradezu abwegige und absurde Vorstellung, dass ein Bandenanführer so handelt." Es existiere keine Mail, keine Chat-Nachricht, die eine Täterschaft Brauns belegten, sagte Dierlamm. "Herr Braun taucht in diesen Schattenstrukturen in keiner Weise auf." Die vierte Strafkammer des Landgerichts München I hatte den Prozess in der vergangenen Woche eröffnet. Das Gericht hat gut 100 Prozesstage angesetzt, das Verfahren wird voraussichtlich bis ins Jahr 2024 dauern.

Deutschland | Fortsetzung Wirecard-Prozess | Oliver Bellenhaus und Markus Braun
Der Mitangeklagte Oliver Bellenhaus (mit Maske). Vor ihm: Markus Braun Bild: Peter Kneffel/dpa/picture alliance

Braun sei seit der Insolvenz von Wirecard im Juni 2020 vorverurteilt worden wie kein anderer seiner Mandanten in 30 Jahren, sagte der Wiesbadener Anwalt. "Die Vorverurteilung ist beispiellos wie prägend für dieses Verfahren." Auch das Oberlandesgericht, das für die Untersuchungshaft von Braun verantwortlich war, und der Wirecard-Untersuchungsausschuss des Bundestags seien der Falschaussage von Bellenhaus aufgesessen.

Die Münchner Staatsanwaltschaft hält Braun laut Anklage für den Kopf einer kriminellen Bande, die über Jahre die Bilanzen des einstigen Börsenlieblings gefälscht und milliardenschwere Scheingeschäfte erfunden habe, um Verluste zu verschleiern. Der 53-jährige Österreicher sieht sich dagegen selbst als Opfer von Managern um den flüchtigen ehemaligen Vorstand Jan Marsalek, die Milliarden beiseite geschafft hätten. Verteidiger Dierlamm warf den Ermittlern Voreingenommenheit und schwere Ermittlungspannen vor. Die Staatsanwaltschaft habe nach Marsaleks Flucht unter Erfolgsdruck gestanden. Damit sei klar gewesen: "Markus Braun musste hinter Gitter." Der über Jahre als Visionär gefeierte Ex-Vorstandschef sitzt seit rund zweieinhalb Jahren in Untersuchungshaft.

Antrag auf Aussetzung des Verfahrens

Dierlamm beantragte am Montag vor dem Landgericht München I die Aussetzung des Verfahrens. Die vierte Strafkammer ließ offen, wann sie über eine Aussetzung des Verfahrens entscheiden wird. Eine ordnungsgemäße Durchführung der Hauptverhandlung sei nicht möglich, begründete der Verteidiger seinen Antrag. Dierlamm warf der Staatsanwaltschaft vor, trotz zahlreicher Aufforderungen die Zahlungsflüsse bei Wirecard nicht überprüft zu haben.

"Die wesentlichen strukturellen Elemente der Tat- und Bandenstruktur sind im Ermittlungsverfahren nicht ansatzweise aufgeklärt worden", sagte Dierlamm, und sprach von "gravierenden Verstößen gegen das Rechtsstaatsprinzip". Der Verteidiger hielt der Staatsanwaltschaft vor, die Anklage auf Bellenhaus gestützt und der Verteidigung wesentliche Unterlagen vorenthalten zu haben. "Das Verfahren leidet an einem schweren Geburtsfehler." Als letzten Punkt warf Dierlamm der Anklagebehörde vor, kurz vor Beginn der Hauptverhandlung noch immense Mengen an Akten an die Anwälte geschickt zu haben. Allein am 7. November seien es 128 Aktenbände gewesen. "Vier Wochen vor der Hauptverhandlung 44 000 neue Aktenseiten."

hb/tko (rtr,dpa)