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2023 - nächste Finanzkrise voraus?

Brigitte Scholtes
30. Dezember 2022

Die Sorgen vor einer neuen Finanzkrise wachsen. Weltweit schwächelt die Wirtschaft. Neben konjunkturellen sind immer mehr strukturelle Herausforderungen zu bewältigen. Braut sich da an den Finanzmärkten etwas zusammen?

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Eine Euromünze liegt auf Dollarnoten
Die weltweiten Finanzmärkte machen Beobachtern SorgenBild: Klaus-Dieter Esser/agrarmotive/picture alliance

Die Finanzaufseher sind in Sorge. Die Lage an den internationalen Finanzmärkten ist seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine wieder deutlich labiler geworden. "Zinswende, Kreditrisiken, Inflation - nicht umsonst sprechen wir von einer Zeitenwende", sagte Mark Branson, Chef der deutschen Finanzaufsicht BaFin, vor wenigen Wochen.

Auch die EZB-Bankenaufsicht ist wachsam: Sie sei besorgt über die Auswirkungen des makroökonomischen Umfelds und der Dynamik an den Finanzmärkten wegen der Qualität der Vermögenswerte und der Finanzausstattung der Banken, sagte Mario Quagliarello, Direktor Aufsichtsstrategie und Risiko bei der EZB-Aufsichtsbehörde. Vor allem sorgen sich die Aufseher darum, dass wegen der steigenden Zinsen einige Kreditnehmer, etwa Hausbesitzer, ihre Kredite nicht mehr bedienen könnten.

Die Risiken kämen eben nicht direkt aus dem Bankensystem, sondern von den Kunden der Geldhäuser, die in vielfacher Weise von den aktuellen Herausforderungen betroffen seien, mahnt Bafin-Chef Branson. Das liege am aktuellen Umfeld, in dem die Volkswirtschaften weltweit mit nachlassendem Wachstum kämpfen. Das liegt aber auch an der strafferen Geldpolitik, denn die Notenbanken weltweit bekämpfen die hohe Preissteigerung mit steigenden Zinsen. Und deshalb rechnen viele Ökonomen in einzelnen Ländern wie etwa Deutschland mit Rezessionen. 

Eine Person hält in ihren Händen 10,45 Euro Bargeld in Euromünzen und Euroscheinen
Viele Deutsche leiden unter der hohen InflationBild: picture alliance/Fotostand

Auch die Bundesbank bleibt sehr vorsichtig: Das deutsche Finanzsystem sei gegenüber makroökonomischen Risiken verwundbar. Die Banken müssten eine ausreichende Widerstandsfähigkeit haben, um die Stabilität des Systems zu bewahren, sagte vor wenigen Wochen Claudia Buch. Sie ist im Vorstand der Deutschen Bundesbank für Finanzstabilität zuständig. "Aus Verwundbarkeiten können Verletzungen werden, die später nur schwer zu heilen sind."

Bankensektor ist stabiler geworden

Konjunkturelle und geopolitische Risiken will die Aufsicht, auch die der EZB, deshalb in den kommenden Jahren verstärkt in den Blick nehmen. Aber die Banken seien inzwischen widerstandsfähiger und stabiler, meint  Martin Lück, deutscher Chefstratege des weltgrößten Vermögensverwalters Blackrock. Denn seit der Finanzkrise 2008/2009 habe sich viel getan, so dürften die Banken seither nicht mehr auf das eigene Buch spekulieren: "Der Bankensektor ist generell deutlich resistenter geworden, robuster geworden, und damit auch nicht mehr so sehr der Gefahr ausgesetzt, im Zuge der vielen Krisen und Unwägbarkeiten, in eine neue Systemkrise zu rutschen."

Eine Hand halt eine Bitcoin-Symbolmünze, im Hintergrund liegen Dollarscheine
Nach dem Kollaps der Kryptobörse FTX wissen viele Kunden noch nicht, ob sie ihr Vermögen zurückbekomme - es geht um Milliarden an KundengeldernBild: Zeferli/IMAGO

Zurücklehnen aber dürfe man sich nicht, denn die Gefahren drohten von anderer Seite - von neuen Spielern wie etwa den sogenannten Kryptowährungen, sagt Branson. Sie droht aber auch, wenn Staaten eine unorthodoxe Politik betrieben. Das hat die Krise in Großbritannien im Oktober gezeigt, bei der die Finanzmärkte sehr schnell auf die Regierungspolitik reagiert hätten. Damals hatte die Regierung unter der damaligen Premierministerin Liz Truss die Ausgaben erhöhen, die Steuern aber senken wollen. Die Folge: Der Wert des britischen Pfunds fiel rasant.

Staaten stehen vor riesigen Finanzierungsaufgaben

"Wenn Risiken kommen, kommen sie schnell", analysiert BaFin-Chef Mark Branson. Damals konnte nur die Bank of England die Märkte wieder beruhigen, indem sie Staatsanleihen kaufte, also Liquidität in die Märkte pumpte. Der Trend der Notenbanken aber geht eigentlich ja in die andere Richtung: Die Fed hat schon damit begonnen, ihre Bilanz zu verkleinern, also Anleihen in ihrem Bestand wieder zu verkaufen. Auch die EZB strebt das an.

Das aber könnte gravierende Folgen haben, warnt Martin Lück von Blackrock. Denn die Staaten hätten riesige Ausgaben zu stemmen, sei es für Entlastungspakete in der Krise oder die grüne Transformation. "Irgendwann könnte das zu einem Punkt kommen, wo plötzlich die Zinsen viel stärker steigen, weil die Knappheit an Kapital einfach den Preis für das Kapital hochzwingt." Da sei dann im Euroraum doch wieder die EZB gefragt. Denn wenn die Zentralbanken jetzt nur noch auf das Ziel der Inflationsbekämpfung schauten und nicht auf die Stabilität des Finanzsystems, werde das Folgen haben: "Dann ist ganz klar, dass man eventuell eine Systemkrise riskiert."