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Politik

Wo beginnt Korruption? Der Fall Lindner wirft Fragen auf

10. Januar 2023

Hat Christian Lindner einen privaten Millionenkredit nur bekommen, weil er als Finanzminister für die Bank geworben hat? Das wäre Korruption und ist strafbar.

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Christian Lindner gestikuliert mit den Händen
Bundesfinanzminister Christian Lindner weist die Vorwürfe zu einem Privatkredit zurückBild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Update der Redaktion vom 30.03.2023: Mit Pressemitteilung vom 27.01.2023 hat die Generalstaatsanwaltschaft Berlin mitgeteilt, dass es keinen Anfangsverdacht strafbaren Verhaltens des Herrn Lindners gibt. Die Prüfung habe weder einen – ohnehin fernliegenden – Anfangsverdacht wegen Abgeordnetenbestechung nach § 108e des Strafgesetzbuches ergeben noch wegen Vorteilsannahme nach § 331 des Strafgesetzbuches. 

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Auf der Liste der großen Geldhäuser in Deutschland belegt die BBBank nur Platz 56 und besonders bekannt war die Badische Beamtenbank, so der komplette Name des Geldinstituts, bislang auch nicht. Einst gegründet für Staatsdiener, die nicht im Ruf standen, besonders liquide zu sein, steht sie heute allen Berufssparten offen. Auch Bundesfinanzminister Christian Lindner ist Kunde der BBBank. Er hat dort einen hohen Kredit laufen, mit dem er Anfang 2021 den Kauf seiner Villa in Berlin finanziert hat.

Trotz der privaten Geschäftsbeziehung entsprach Lindner im Frühjahr 2022 der Bitte der Bank, als Finanzminister ein Grußwort zum hundertjährigen Jubiläum beizusteuern. In dem Video, das auf einer großen Vertreterversammlung in Karlsruhe, gezeigt wurde, sagt der Minister unter anderem: "Die BBBank ist mir von Grund auf sympathisch."

Jahrelang als Werbebotschafter unterwegs

Zu dem Zeitpunkt hatte Christian Lindner bei der BBBank bereits einen Kredit über 2,35 Millionen aufgenommen. Wenige Wochen nach dem Grußwort gewährte die Bank Lindner eine Kreditaufstockung auf 2,8 Millionen Euro. Eine stattliche Summe, zumal der Kaufpreis der Villa nur bei 1,65 Millionen Euro lag und die Immobilie als Sicherheit dient. Was bewog die Bank, einen mehr als eine Million Euro höheren Kreditrahmen zu bewilligen?

Gebäude der Badischen Beamtenbank in Karlsruhe
BBBank-Zentrale in Karlsruhe: Stattlicher Kredit für LindnerBild: Arnulf Hettrich/imago images

Lindner war dem Bankhaus seit vielen Jahren gut bekannt. Er trat seit 2014 als Testimonial für die BBBank auf, als Werbebotschafter. Mal im hauseigenen Kundenmagazin, mal in einem Videoclip, in dem der FDP-Chef und Bundestagsabgeordnete drei Minuten lang über seine erste Wohnung und die Bedeutung von Freiheit auch in finanzieller Hinsicht plaudert.

Die Werbeagentur, die das Video nach wie vor auf ihrer Homepage präsentiert, schrieb dazu: "Im Top-Thema widmete sich die BBBank einer Situation, die vielen von uns bekannt sein dürfte: Junge Menschen verlassen scheinbar immer später das Elternhaus. Einen persönlichen Einblick gewährt Christian Lindner."

Top-Verdiener im Bundestag

Parallel dazu hielt Lindner Vorträge auf "Eventabenden" des Geldhauses. Unter anderem in Karlsruhe, Düsseldorf, Hamburg, Heidelberg und Dresden. Die Honorare sind auf Lindners Abgeordnetenseite im Archiv des Bundestags aufgelistet: Für 2019 gibt Lindner dreimal die Stufe zwei mit maximal 7000 Euro pro Vortrag an, zweimal die Stufe drei, die bis 15.000 Euro pro Vortrag reicht.

Allerdings ist es Politikern nicht verboten, Werbung zu machen und bis zur Verschärfung des Abgeordnetengesetzes im Herbst 2021 durften Bundestagsparlamentarier auch uneingeschränkt bezahlte Vorträge halten. Laut einer Studie der Otto-Brenner-Stiftung hat etwas mehr als ein Drittel der Abgeordneten in der 19. Legislaturperiode (2017 - 2021) Nebeneinkünfte bezogen, die sich auf insgesamt etwa 53 Millionen Euro summierten.

Wusste das Ministerium von dem Kredit?

Kritisch könnte für Lindner allerdings das Video-Grußwort vom Mai 2022 werden. Wenn ein Bundesfinanzminister freundliche Worte für ein Geldhaus findet, das ihm anschließend den Kreditrahmen großzügig erweitert, dann wirft das Fragen auf. Mindestens die nach der zeitlichen Nähe zwischen dem dienstlichen Grußwort und dem privaten Kredit.

Ansicht der Häuserfront des Finanzministeriums in der Wilhelmstraße 97 in Berlin mit Aufschrift "Bundesministerium der Finanzen"
Im Bundesfinanzministerium hüllt man sich weitgehend in SchweigenBild: Jürgen Ritter/imago images

Eine Sprecherin des Bundesfinanzministeriums betonte zwar, solche Grußworte seien "durchaus nicht unüblich". Die Frage, ob Lindner seine private Geschäftsbeziehung zu der Bank zuvor transparent gemacht und im Ministerium auf seinen Kredit hingewiesen habe, ließ sie aber unbeantwortet.

Ermittlungen werden geprüft

Genau für diese Frage interessiert sich die Spezialabteilung für die Bekämpfung von Korruption bei der Berliner Generalstaatsanwaltschaft. Sollte die Bank Lindner mit der Krediterweiterung einen bei anderen Kunden unüblichen Vorteil gewährt haben, wäre das strafbar. Die Justiz prüft derzeit, ob sie formal ermitteln will. Dafür müsste sie beim Bundestagspräsidium beantragen, die Immunität des Abgeordneten Lindner aufzuheben.

Finanzminister Lindner und seine Frau Franca Lehfeldt winken in weißem Hochzeitskleid und blauem Anzug bei den Feierlichkeiten zu ihrer Hochzeit auf der Nordsee-Insel Sylt.
Weil bei Lindners Hochzeit auf Sylt prominente Regierungsmitglieder dabei waren, waren hohe Sicherheitsvorkehrungen auf Kosten der Steuerzahler nötig. Dafür gab es viel KritikBild: Axel Heimken/dpa/picture alliance

Aus der Opposition im Bundestag hingegen kommen Rücktrittsforderungen. Es gebe Indizien, dass Lindner "möglicherweise nicht klar trennen" könne zwischen seinem Job als Minister und seinen Privatinteressen, so Linken-Parteivize Lorenz Gösta Beutin gegenüber dem Spiegel. "Sollte sich der Verdacht erhärten und es zum Strafverfahren kommen, wäre der Rücktritt des Finanzministers unausweichlich."

Wo fängt Korruption an?

Lindner selbst weist die Vorwürfe zurück und ließ über seinen Anwalt mitteilen, dass die private Immobilienfinanzierung lange vor der Übernahme des Ministeramtes begonnen worden sei und alle Konditionen "stets marktüblich" gewesen seien.

Christian Lindner als junger Mann 2014 auf dem FDP-Parteitag in Dresden, wie er am Pult sitzt, leicht von unten fotografiert
Christian Lindner 2014 auf dem FDP-Parteitag in Dresden. Seit 2013 ist er ParteivorsitzenderBild: Arno Burgi/dpa/picture alliance

Der Begriff Korruption ist im deutschen Strafgesetzbuch nicht zu finden. Stattdessen wird zwischen Vorteilsannahme und Bestechlichkeit unterschieden. Vorteilsannahme liegt gemäß § 331 Strafgesetzbuch vor, wenn eine Amtsträgerin oder ein Amtsträger einen Vorteil für die legale Dienstausübung fordert, sich versprechen lässt oder annimmt. Bestechlichkeit liegt gemäß § 332 vor, wenn für einen solchen Vorteil eine konkrete Diensthandlung unter Verletzung der Dienstpflichten vorgenommen wird. Schon die geäußerte Bereitschaft ist strafbar.

Deutschland im Korruptionsindex auf Platz 10

Die Anti-Korruptions-Organisation Transparency International begrüßt die Überprüfung durch die Berliner Justiz. "Der Rechtsstaat muss auch und gerade bei einem Minister kritisch hinschauen", sagte Transparency-Jurist Wolfgang Jäckle der Funke Mediengruppe.

Im Korruptionswahrnehmungsindex, einer Rangordnung von 180 Staaten weltweit, die Transparency International seit 1995 herausgibt, liegt Deutschland auf Platz zehn.

Spitzenreiter des aktuellen Rankings sind Dänemark, Finnland und Neuseeland. Die Schlusslichter bilden Somalia, Syrien und der Südsudan. Platz zehn ist zwar ein vorderer, doch diese Platzierung hat sich seit Jahren nicht verbessert.

Lücken im Anti-Korruptions-Gesetz

Das hängt vielleicht damit zusammen, dass die Anti-Korruptionsgesetzgebung bis vor kurzem durchaus Lücken aufwies. Für Amtsträger und Beamte sind die Regeln schon lange sehr streng. Ob Bundespräsident, Bürgermeister oder Polizist, Geschenke oder Vorteile dürfen die Grenze von 10 Euro nicht übersteigen. 

Ein selbst gebackener Kuchen oder ein Pfund Kaffee für die Polizeistation in der Nachbarschaft zu Weihnachten sind also kein Problem. Polizisten, die bei einer Verkehrskontrolle in Hamburg von einem LKW-Fahrer einen Obstkorb mit Weintrauben geschenkt bekamen, wurden 2006 hingegen wegen Vorteilsannahme verurteilt.

Protest in einem Fußballstadion gegen Korruption beim DFB
Der Deutsche Fußballbund vertuschte über Jahre Hinweise auf Korruption bei der Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 an DeutschlandBild: Marius Becker/dpa/picture alliance

Als 2012 durchsickerte, dass der damalige Bundespräsident Christian Wulff die Einladung eines befreundeten Filmproduzenten zu einer Urlaubsreise angenommen hatte, wertete das die Staatsanwaltschaft als Vorteilsnahme und leitete Ermittlungen ein, die zu einem Prozess führten. In dem wurde Wulff zwar freigesprochen, seine politische Karriere war trotzdem beendet. Er war unter anderem aufgrund der Vorwürfe zurückgetreten.

Was für Staatsdiener gilt, gilt jedoch nicht genauso für Parlamentarier. Für sie gibt es im Strafgesetzbuch einen eigenen Paragrafen, den § 108e. Auf den beriefen sich 2020 die Ermittlungsbehörden in der sogenannten Masken-Affäre im Bundestag.

Ein Unternehmer hatte in der Corona-Pandemie Masken in Asien besorgt mit dem Ziel, sie gewinnbringend an die Behörden weiterzuverkaufen. Dafür spannte er den Bundestagsabgeordneten Georg Nüßlein und den Landtagsabgeordneten Alfred Sauter (beide CSU) ein, die das Geschäft vermittelten. Die beiden kassierten von dem Unternehmer rund zehn Millionen Euro Provision. Strafbar war das am Ende für sie nicht.

Der Bundesgerichtshof entschied im Juli 2022 in letzter Instanz, dass ihnen keine Bestechlichkeit oder Bestechung nachzuweisen sei, sondern lediglich missbräuchliche Einflussnahme. Die sei zwar in zwei von der Bundesrepublik geschlossenen UN-Abkommen als Korruptionsdelikt benannt, aber nie in deutsches Recht überführt worden. Kommentar der Richter: Es sei Sache des Gesetzgebers, falls er eine Strafbarkeitslücke erkennen sollte, diese zu schließen.

Genau das versprachen die Ampel-Koalitionäre nach dem BGH-Urteil. Die Diskussionen laufen.