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Haldenwang: "Bedrohungssituation wie im Kalten Krieg"

Thomas Sparrow
22. April 2024

Es gebe "ständig" russische Spionageaktivitäten, die sich gegen deutsche Interessen richten, so Verfassungsschutz-Präsident Thomas Haldenwang im exklusiven DW-Interview. Der Chef des deutschen Inlandsgeheimdienstes benennt auch andere Gefahren - etwa durch China oder Islamisten.

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Thomas Sparrow: "Russlands Krieg gegen die Ukraine mitten in Europa, Cyberangriffe, Spionage, der eskalierende Nahostkonflikt, dazu auch die Sorge, dass die bevorstehende Fußball-Europameisterschaft Ziel eines Terroranschlags sein könnte. Die deutschen Sicherheitsbehörden stehen unter Druck. Welche Bedrohungen gibt es konkret? Wie gut ist der Schutz vor einem möglichen Anschlag? Der Deutsche Inlandsgeheimdienst, also das Bundesamt für Verfassungsschutz, ist gefragt, und wir konnten hier in Berlin mit Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang sprechen. 

Herr Haldenwang, ich möchte mit einem aktuellen Fall anfangen: Drei Personen, die wegen mutmaßlicher Spionage für China festgenommen worden sind. Wie gravierend ist der Fall?"

Thomas Haldenwang: "Ja, das ist schon ein Fall von ganz besonderer Bedeutung. Wir haben zu tun eben mit einem Fall von Proliferation, und es geht auch um Know-how von Waffen. Ja, dieser Fall zeigt, dass eben auch China in Deutschland aktiv ist und dass es hier Proliferationsfälle gibt. Das Bundesamt war sehr frühzeitig an den Ermittlungen beteiligt, oder wir haben diese Ermittlungen initiiert, und nachdem die Beweislage dann eindeutig war, konnten wir diesen Fall an die Polizei und die Staatsanwaltschaften abgeben. Weitere Informationen werden jetzt vom Generalbundesanwalt zu diesem Fall bekannt gegeben werden."

Thomas Sparrow: "Und das kommt nur wenige Tage, nachdem zwei Personen wegen mutmaßlicher Spionage für Russland hier in Deutschland festgenommen worden sind. Wie groß ist die Gefahr aus Russland für die innere Sicherheit hier in Deutschland?" 

Thomas Haldenwang: "Ja, wir nehmen seit vielen Jahren schon wahr, dass Russland große Aktivitäten hier in Deutschland entfacht. Ich habe schon vor dem Ukraine-Krieg davon gesprochen, dass eine Bedrohungssituation besteht wie zu Zeiten des Kalten Krieges. Das Ganze hat sich natürlich mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine noch weiter intensiviert, und wir müssen wahrnehmen, dass Russland Spionage betreibt, Cyberspionage betreibt, Einflussoperationen fährt, Desinformationen begeht, und zu dieser 'Toolbox', wie wir es nennen, gehört natürlich auch ja im extremen Fall das Thema Sabotage. Auch hier müssen wir damit rechnen, dass Russland durchaus Sabotageakte in Deutschland durchführen lassen würde."

Thomas Sparrow: "Und warum ist Deutschland besonders im Fokus von Russland?"

Thomas Haldenwang: "Ja, Deutschland liegt im Herzen Europas, Deutschland ist ein wichtiger Player in vielen Politikbereichen, wenn es um die Unterstützung der Ukraine geht. Da hat Deutschland neben den eigenen Leistungen, das es erbringt, auch vor allen Dingen in militärischer Hinsicht eine starke Stimme auch in Europa. Insofern ist Deutschland wegen seiner Politik hier von besonderem Interesse eben für russische Dienste, aber dann ganz konkret natürlich eben auch als Waffenlieferant für die Ukraine oder eben auch als Land, in dem sicherlich auch, ich bin da kein Experte, ukrainisches Personal ausgebildet wird. Auch dafür interessiert sich Russland sehr. Also, da ist Deutschland schon ein wichtiges Zielland russischer Aktivitäten."

Thomas Sparrow: "Und diese zwei Festnahmen wurden als Erfolg bezeichnet. Aber ist das nicht nur die Spitze des Eisbergs? Ist das Problem nicht viel größer?"

Thomas Haldenwang: "Wir sind seit vielen Jahren auf diese von mir geschilderten russischen Aktivitäten gut eingestellt, und wir erzielen auch immer wieder sichtbare Erfolge in der Bekämpfung dieser Aktivitäten, so jetzt eben auch in Süddeutschland, wo gerade das Bundesamt maßgeblich an der Ergreifung dieser Täter beteiligt war. Wir haben schon frühzeitig zu Beginn des Ukrainekrieges dazu beigetragen, dass eine hohe Anzahl russischer Agenten hier aus Deutschland ausgewiesen wurde. Damit haben wir zunächst auch die Möglichkeiten russischer Dienste in Deutschland schwächen können. Jetzt sind wir sehr wachsam, wenn es darum geht, dass Russland alternative Wege beschreitet. Wir sind darauf vorbereitet, und wir arbeiten in diesem Bereich sehr erfolgreich."

Thomas Sparrow: "Sie sagen "alternative Wege". Erwarten sie vielleicht weitere Spionagefälle, auch mit zum Beispiel Sabotage-Aktionen jetzt, wenn man bedenkt, dass in den nächsten Wochen auch die Fußball-Europameisterschaft hier in Deutschland anfängt?"

Thomas Haldenwang: "Also, wir sind davon überzeugt, dass es ständig russische Spionageaktivitäten gegen deutsche Interessen gibt. Die werden dann durchgeführt, wenn nicht mehr durch eigene Agenten, hier durch reisende Agenten oder durch abgetarnte Personen, die als Kaufleute, Journalisten, Wissenschaftler nach Deutschland kommen, aber in Wirklichkeit eben russisches Spionage-Geschäft betreiben. Und natürlich gehört zur russischen 'Toolbox' auch die Ausübung von Sabotage-Aktivitäten. Es mag ein vitales Interesse Moskaus bestehen, die Waffenlieferungen in die Ukraine zu behindern oder zu erschweren, und ein Land, das mit brutalsten Mitteln Krieg zu führen bereit ist, das scheut auch vor Sabotageakten nicht zurück. Also, insofern müssen wir uns in Deutschland auf dieses Szenario durchaus einstellen."

Thomas Sparrow: "Und erwarten sie auch weitere Risiken bei der EM, nicht nur zum Beispiel aus Russland, aber auch vom islamistischen Milieu? Wie bereiten Sie sich vor, zum Beispiel islamistische Terroranschläge während der EM auch zu verhindern?"

Thomas Haldenwang: "Ja, wir sind aktuell hier in Deutschland beeinflusst von verschiedenen weltweiten Krisen. Das ist auf der einen Seite eben der Krieg Russlands gegen die Ukraine. Wenn es aber jetzt um das Thema Terroranschläge geht, anlässlich der großen Sportereignisse, die im Sommer anstehende Fußball-Europameisterschaft oder später ja auch die Olympiade in Frankreich, dann haben wir natürlich andere Player im Auge, und da spreche ich jetzt natürlich insbesondere von islamistischen Gruppierungen und islamistischen Einzeltätern. Auch in diesem Sektor ist die Bedrohungssituation sehr hoch. Aktuell, auch wenn keine konkreten Anschlagspläne aktuell bekannt sind, ist das abstrakte Gefährdungsniveau außerordentlich hoch."

Thomas Sparrow: "Und was konkret bedeutet das? Was konkret machen Sie, macht Ihre Behörde, um sowas zu verhindern, einen Anschlag hier in Deutschland?"

Thomas Haldenwang: "Ja, wir können uns verschiedene Szenarien vorstellen. Ein sehr gefährliches Szenario wäre zum Beispiel, das sogenannte 'Hit-Teams' aus dem Ausland nach Deutschland einreisen oder vielleicht einzelne Mitglieder auch schon eingereist sind, die als Gruppe einen Anschlag begehen. Das ist sicherlich ein großes Ziel des IS aus der Provinz Khorasan, der im Moment eine sehr starke Rolle spielt. Innerhalb des IS. IS Provinz Khorasan propagiert tatsächlich diesen großen Anschlag, und man denkt dabei an die Anschläge von Paris und von Brüssel vor einigen Jahren, und das wäre ein denkbares Szenario. Andere Szenarien sind, dass die Gefahren ausgehen von selbst radikalisierten Einzeltätern, wie wir es auch in den vergangenen Jahren häufig in Deutschland und Westeuropa hatten, eben durch hoch emotionalisierende Ereignisse im Ausland. Ich denke da an die Situation zum Beispiel im Gaza-Streifen. Da werden einzelne Personen besonders radikalisiert. Sie konsumieren dann eben auch die Propaganda islamistischer Gruppierungen und lassen sich anstacheln dann zu Anschlägen mit einzelnen, einfachen Tatmitteln. Wir sind auf beide Szenarien gut eingestellt. Ein komplexes Szenario, das bekämpfen wir, denke ich mal, sehr effektiv im Verbund eben auch mit allen anderen Sicherheitsbehörden. Unser gemeinsames Terrorismus-Abwehrzentrum in Berlin steht in Habacht, und die Gefahren, die von Einzeltätern ausgehen, die versuchen wir eben durch unsere verstärkte Internet-Beobachtung zu erkennen und entsprechend zu handeln. Dass wir auch in dem Bereich erfolgreich sind, das zeigen eben Festnahmen von islamistischen potenziellen Attentätern in den vergangenen Monaten. Es vergeht kaum ein Monat, wo nicht wieder die Polizei zuschlägt und eine Anschlagsplanung hier in Deutschland vereitelt."

Thomas Sparrow: "Allerdings wurden die Sicherheitsbehörden auch in der Vergangenheit kritisiert, zum Beispiel nach dem Anschlag hier in Berlin 2016. Hat der Verfassungsschutz, haben die Sicherheitsbehörden von diesen Fehlern auch gelernt?"

Thomas Haldenwang: "Ja, wir müssen tatsächlich eine aktive Fehlerkultur betreiben. Wir dürfen uns nicht hinsetzen und sagen, alles war gut, sondern wir müssen aus Fehlern, die begangen wurden, lernen. Das ist geschehen. Wir analysieren solche Ereignisse wie eben auch den Breitscheidplatz-Anschlag im Nachhinein sehr intensiv, und dort, wo Dinge nicht gut gelaufen sind, da wird natürlich an der Optimierung gearbeitet. Häufig geht es um die Frage, wie können unterschiedliche betroffene Sicherheitsbehörden von Polizei oder auch Nachrichtendiensten noch besser zusammenarbeiten? Wir haben inzwischen ein sehr hohes Niveau der Zusammenarbeit im gemeinsamen Terrorismus-Abwehrzentrum hier in Berlin erreicht, und wir gehen davon aus, dass also die Gründe, die seinerzeit einen Anschlag am Breitscheidplatz ermöglicht haben, dass also solche Sachverhalte heute nicht mehr passieren könnten."

Thomas Sparrow: "Sie beschäftigen sich natürlich mit vielen internationalen Krisen. Der Krieg im Nahen Osten hat auch dazu geführt, dass es hier in Deutschland einen Anstieg an antisemitischen Fällen gegeben hat. Was macht das mit Ihnen persönlich, wenn sie sehen, wie viele antisemitische Fälle es in Deutschland jetzt gibt?"

Thomas Haldenwang: "Ja, Antisemitismus war tatsächlich hier in Deutschland auch nach dem Zweiten Weltkrieg nie vollständig verschwunden. Wir mussten uns seit vielen Jahren mit Antisemitismus auseinandersetzen, und es war und ist natürlich ein Antisemitismus, der insbesondere von rechtsextremistischen Kreisen ausgeht. Der Antisemitismus ist die verbindende Klammer zwischen den verschiedensten Gruppierungen im Rechtsextremismus, und das war der Hauptfokus in der Vergangenheit. Jetzt, nach dem 7. Oktober, sehen wir natürlich auch Antisemitismus, der von ganz anderen Gruppen zusätzlich ausgeht, und hier spreche ich von islamistischen Gruppierungen oder eben auch säkularen Gruppierungen, die eine Anti-Israel Politik betreiben. Und in der Gesamtschau rechtsextremistischer Antisemitismus, islamistischer Antisemitismus, säkularer Antisemitismus kommen wir insgesamt auf ein Bedrohungsszenario, das auch erschreckend ist, und das in einem Land wie Deutschland, wo eben der Schutz jüdischer Menschen höchste Priorität hat. Wir haben immer gesagt, nie wieder dürfen sich derartige Ereignisse in Deutschland wiederholen. Michel Friedman sagt: "Jetzt ist wieder", und das ist ein schrecklicher Befund. Die Sicherheitsbehörden tun alles, was in ihrer Macht steht, um jüdische Interessen, um die Interessen unserer jüdischen Bürgerinnen und Bürger hier in Deutschland zu schützen."

Thomas Sparrow: "Was bedeutet das konkret?" 

Thomas Haldenwang: "Das bedeutet zum Beispiel, dass die Polizei natürlich sehr stark präsent ist bei den verschiedensten jüdischen Einrichtungen oder bei herausgehobenen Persönlichkeiten natürlich auch ein besonderer Personenschutz stattfindet. Aber jede Synagoge sollte eben entsprechenden Schutz durch die Polizei bekommen, oder sonstige Einrichtungen. Die Verfassungsschutzbehörden wiederum versuchen im Hintergrund Pläne aufzudecken, die vielleicht von internationalen Gruppierungen oder eben von Extremisten ausgehen, gegen jüdische Interessen oder jüdische Menschen. Und ja, auch da sind wir erfolgreich. Es hat auch in der Vergangenheit immer wieder Festnahmen gegeben, die dann eben auf die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes zurückzuführen waren." 

Thomas Sparrow: "Und sie haben schon das Thema Rechtsextremismus genannt, und ein Thema, was hier in Deutschland viel diskutiert wird, ist die AfD, die von ihrer Behörde als Verdachtsfall, rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft wird. Ist die AfD eine Gefahr für die Demokratie, Ihrer Meinung nach?"

Thomas Haldenwang: "Wir haben jedenfalls bei der AfD starke Strömungen festgestellt, die Hass und Hetze verbreiten gegen Minderheiten aller Art, gegen Muslime, gegen Migranten, gegen Menschen mit anderer sexueller Orientierung. Wir sehen, dass das Demokratieprinzip in Teilen in Frage gestellt wird. Wir sehen eine starke Vermischung der AfD-Politiker mit weiteren rechtsextremistischen Figuren, aber das hat uns dazu geführt, die Partei zum Verdachtsfall zu erklären. Diese Einstufung wird aktuell durch die Gerichte überprüft. Wir warten hier auf eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts in Münster, und das Urteil wird uns dann weitere Erkenntnisse bringen."

Thomas Sparrow: "Herr Haldenwang, vielen Dank für dieses Interview."

Thomas Haldenwang: "Ich danke Ihnen."