1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Fettleibigkeit

Ole Wackermann24. Juli 2007

Experten warnen vor einer globalen Fett-Welle mit dramatischen Folgen - denn wer übergewichtig ist, trägt ein erheblich höheres Risiko, krank zu werden. Krankenhäuser müssen sich auf dicke Patienten einstellen.

https://p.dw.com/p/BLfN
Ein übergewichtiges Paar sitzt auf einer Bank, Quelle: dpa
Zu dick für eine Operation?Bild: picture-alliance/dpa
Dicker Mann mit Einkaufstüte von hintenuelle: BilderBox
Immer mehr Dicke schleppen sich durch die WeltBild: BilderBox

Die Zahl der Dicken ist auf eine Milliarde angewachsen und könnte bis 2015 noch einmal um die Hälfte zunehmen. Das Problem betrifft mittlerweile nicht nur die Industrie-, sondern auch Schwellen- und Entwicklungsländer. Auf das Gesundheitswesen kommen ganz neue Herausforderungen zu. Zum Beispiel, wenn herkömmlich medizinische Geräte für extrem Fettleibige einfach nicht geeignet sind.

Der Krankenhausmanager Erwin Lohmer hat gemeinsam mit einer Kollegin durchgesetzt, dass sich die Universitätsklinik Köln auf Operationen an besonders schwergewichtigen Patienten einstellt. Das Operationsbesteck ist teilweise dreimal so lange wie das für normalgewichtige Patienten. "Ein Wundhaken muss entsprechend lang sein, denn der Bauchraum muss gespannt und das OP-Feld sichtbar sein. Wenn man mit einem kleinen, dünnen Haken zwei oder drei Stunden den Bauchraum aufhalten muss, dann quillt das Fettgewebe wieder vor", erklärt Lohmer.

"Specken Sie erstmal ab!"

Drei Männer zeigen ihren dicken nackten Bauch Quelle: PA
Teufelskreis: Übergewicht - Schlafstörungen - zu schwer für den OP-TischBild: picture alliance

Bevor längere Wundhaken und stabilere Operationstische angeschafft wurden, musste das Krankenhaus Patienten wie Klaus Heisterkamp oft wieder nach Hause schicken. "Ich war 2003 zu einer Nasenoperation angemeldet. Diese Operation wurde mir verweigert, weil ich zu dick sei - zu schwer für den Operationstisch. Und die Operation sei nicht so dringend, dass man sie nicht verschieben könnte", sagt Heisterkamp. Dann hörte er den Standardsatz: "Specken Sie ein wenig ab, dann können Sie wiederkommen."

Heisterkamp wog damals 190 Kilogramm. Unter diesem Gewicht drohen die meisten herkömmlichen Operationstische zusammenzubrechen, Klemmen und Nadeln sind zu kurz. Deshalb konnte der fettleibige Mann nicht an der Nasenscheidewand operiert werden, um nachts wieder besser atmen zu können. Dafür hätte er 30 Kilo abnehmen müssen. Seit Monaten litt Klaus Heisterkamp infolge seines Übergewichts an Atemnot und kam kaum noch zur Ruhe: "Ich habe zum Schluss, bevor ich dann im Schlaflabor behandelt wurde, gerade mal anderthalb Stunden pro Nacht geschlafen, länger nicht."

Mehr Geld - dickere Menschen

Eine Hand greift in eine Tüte Pommes, Quelle: AP
Häufiger Quell des Übels: schlechte ErnährungBild: AP

Mit Anfang 40 verlor Klaus Heisterkamp seinen Job in einem Call Center - wegen seines Übergewichts, wie er sagt. Seine Gesundheitsprobleme und sein auffälliges Aussehen störten offenbar seinen Arbeitgeber. Der Vater von drei Kindern war in einem Teufelskreis: Um seinen Job zu behalten, hätte er abnehmen müssen, doch seine stressige Arbeit am Telefon trug dazu bei, dass er sich wenig bewegte und in den kurzen Pausen schlecht ernährte - und immer mehr zunahm.

Wie dem Deutschen geht es immer mehr Menschen weltweit, besonders in Ländern, in denen die Wirtschaft stark wächst. Dort haben sich die Einkommensverhältnisse in den letzten Jahrzehnten deutlich verbessert. In vielen Regionen Chinas und Indiens beispielsweise gibt es keine echten Ernährungsprobleme mehr - im Gegenteil: wie in westlichen Industrienationen werden hier "kaloriendichte Nahrungsmittel" bevorzugt, wie Christian Schneider, Arzt an der Universitätsklinik Köln, erklärt: "Das führt dazu, dass die Menschen dicker werden, insbesondere da, wo die körperliche Belastung abnimmt. Die meisten Menschen sitzen am Schreibtisch und bewegen sich nicht mehr. Nach zwei oder drei Jahren sind sie dann deutlich übergewichtig."

Weniger Essen, mehr Bewegung

Schon jetzt seien zum Beispiel in so unterschiedlichen Ländern wie Ägypten, der Türkei, Südafrika und den USA drei Viertel der Frauen über 30 übergewichtig. Christian Schneider behandelt an der Universitätsklinik Köln in einem Team von drei Spezialisten vor allem Patienten mit Gewichtsproblemen. Auch an diesem Morgen sitzen wieder Menschen mit deutlichen Rundungen in seinem Wartezimmer. Doch wie kann ihnen geholfen werden? "Es geht immer um die Bilanz von Kalorienzufuhr und Kalorienverbrauch. Idealerweise ist es so, dass sie weniger Kalorien zu sich nehmen und mehr Kalorien verbrennen."

Für den Arzt führt kein Weg daran vorbei: die Fettleibigen müssen ihren Lebensstil ändern, sich mehr bewegen und besser ernähren. Dabei versucht er ihnen zu helfen und für jeden eine individuelle Lösung zu finden. Helfen können bei besonders schweren Fällen auch Medikamente. Aber an eine Wunderpille gegen Fettleibigkeit glaubt Christian Schneider nicht, denn sobald die Medikamente abgesetzt werden, nehmen die Betroffenen oft schnell wieder zu. Die letzte Hoffnung vieler besonders fettleibiger Menschen ist deshalb eine Operation.

Um den OP-Tisch führt oft kein Weg vorbei

So hat sich auch Klaus Heisterkamp den Magen verkleinern lassen. Nach dem Eingriff hat er stark abgenommen. Bis zu einem gesunden Körpergewicht ist es aber noch ein weiter Weg. "Ich bin mit einem Gewicht von 200 Kilo in die Operation reingegangen. Mein Bewegungsspielraum betrug noch 100 Meter um den nächsten Stuhl herum. Ich wurde vor zwei Jahren operiert, habe 25 Kilo abgenommen. Mir geht es blendend damit. Insofern bin ich froh, dass ich die Operation machen konnte."

Ein spezielles Band schnürt jetzt den Magen von Klaus Heisterkamp an einer Stelle ab wie einen Sack. So ist ein Vormagen entstanden, in den nur wenig Nahrung passt. Die Folge: Schon nach viel kleineren Mahlzeiten als früher geben die dafür zuständigen Rezeptoren die Information an Klaus Heisterkamps Gehirn weiter, dass sein Magen gefüllt und er gesättigt ist. Operiert wurde der schwergewichtige Mann an einer Klinik, die sich noch nicht auf Patienten wie ihn eingestellt hatte. Das Krankenhaus musste deshalb einen extra großen Operationstisch mieten.