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Kämpfer mit Tulpenzwiebel

Anna Kuhn-Osius30. Juli 2008

Sie kommen am liebsten in der Nacht. Ihre Feinde sind graue Betonplätze. Ihre Waffen Tulpenzwiebeln und Lavendel, Blumen-Samen und Osterglocken. "Guerilla Gärtner" erobern Europas Hauptstädte – und machen sie grün.

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Tulpen am Brandenburger Tor. Quelle: dpa
Blumen statt Beton - das wollen auch die Berliner Guerilla-GärtnerBild: picture-alliance/dpa

"Werft Samenbomben", feuern sie sich gegenseitig im Internet an. "Gärtnert die Nacht durch!" Und immer wieder ihr Schlachtruf: "Gut grün!" Guerilla-Gärtner sind auf dem Vormarsch und begrünen die Städte, von London bis Berlin, von Düsseldorf bis New York. "Garten-Piraten" nennen sie sich selbst liebevoll – und sind stolz auf sich.

Richard Reynolds. Quelle: privat
Richard Reynolds, Vater der europäischen Guerilla-Gärtner-BewegungBild: Gavin Kingcome

Angefangen hat es im grauen Hinterhof eines Londoner Apartmenthauses. Dort wohnt Richard Reynolds, bald 30 Jahre alt, ein Wuschelkopf mit Job in der Werbebranche. Im Hinterhof seines Apartmenthauses standen ein paar Blumenkübel, ungepflegt, voll mit Müll. Richard kommt aus Südengland und liebt Pflanzen. Er wollte grün vor seinem Fenster, hatte aber keine Lust auf bürokratische Begrünungs-Anträge. Also begann er, nachts zu pflanzen. Das war vor vier Jahren. Es blieb nicht beim Blumenkübel.

Lavendel am Parlament

Im Internet fand Richard Gleichgesinnte. Nacht für Nacht ziehen sie seitdem los, machen eine "Aktion", wie sie es nennen. Die Teilnehmer tauchen im Internet nur unter ihren "Truppennummern" auf und berichten stolz in Blogs, was sie zuletzt begrünt haben. Richard hat auf der Londoner Westminster Bridge Road ein Lavendelfeld gepflanzt, und in Norfolk direkt vor das Parlamentsgebäude auch. Auch wenn er es selbst nicht so richtig eingestehen möchte, wurde er wohl zum Vater der Guerilla-Bewegung in Europa. "Du musst kein perfekter Gärtner sein, um Guerilla-Gärtner zu werden", sagt Richard. "Du brauchst nur eine gewisse Menge an Optimismus - und dann musst du einfach anfangen, Schritt für Schritt. Ein paar Samen hier, ein bisschen Mohn dort, einige Osterglocken, und dann kommt auch der Mut, größere Dinge zu tun."

Krimineller Vandalismus?

Bei Nacht wird eine Verkehrsinsel bepflanzt. Quelle: Richard Reynolds
Auf dieser Verkehrsinsel blühen morgen Blumen - eine nächtliche Aktion der Guerilla-GärtnerBild: Richard Reynolds

Viele Passanten seien verwirrt, wenn sie die Gärtner sehen, erzählt Richard. "Sie fragen uns, wer uns bezahlt, oder ob wir Kriminelle sind. Das sind wir wohl auch." Er lacht darüber, dass sein Gärtnern als Sachbeschädigung gilt, als Vandalismus. Und die Polizei? Ein Beamter dachte, Richard wolle Drogen verstecken im Blumenbeet. Einer hielt einen Sack mit Holzspänen für eine Bombe. Einmal haben die Beamten richtig Schwierigkeiten gemacht: "Sie haben gedroht, uns zu verhaften, wenn wir nicht sofort aufhören", berichtet Richard. "Also gingen wir nach Hause. Anderthalb Stunden später sind wir wiedergekommen und haben unsere Arbeit beendet." Langsam hat sich die Polizei an die verrückten Gärtner gewöhnt. "Vor zwei Wochen haben sie uns sogar zugewunken und gehupt im Vorbeifahren. Viele kennen uns mittlerweile, für die ist es okay."

Düsseldorf wird grün

Flieder am Trafo-Häuschen. Quelle: privat
Flieder am Trafo-Häuschen - die Guerilla-Gärtner in DüsseldorfBild: Martin Horacio

Mit der Polizei will Martin keinen Ärger. Trotzdem geht er mit Hacke und Spaten raus. Der Düsseldorfer ist 33 und bezeichnet sich selbst als den "Mann mit dem grünen Daumen". Martin liebt Pflanzen. Seine drei Dachterrassen sind voll, sein Balkon auch. Seine Wohnung schon lange. Da kam ihm die Idee: Er verteilt seine Pflanzen in Düsseldorf. Überall, wo es hässlich und grau ist, unter den Bäumen am Straßenrand, an einer besonders runtergekommenen S-Bahn-Station. Auf vergessenen Verkehrsinseln, auf denen sich sonst der Müll stapelt. Martin pflanzt sich durch Düsseldorf. "Gärtnern ist Entspannung", sagt Martin. Sein Lieblingsplatz ist ein altes Trafo-Häuschen mit anderthalb Quadratmetern Grünfläche. Und der lieblose Grünrand um einen Laternenpfahl bei ihm vor der Haustür. Da blühen jetzt Dahlien und Kapuzinerkresse, ein Zierkürbis wächst neben einer kleinen Wildblumenwiese, Feuerbohnen neben Rosen. Vielleicht halten ihn die Nachbarn ein bisschen für verrückt, gesteht Martin, wenn er so in seinem Beet am Trafohäuschen sitzt und Unkraut zupft. Aber immerhin: Mittlerweile machen selbst die Hunde einen Bogen um seinen Mini-Garten. "Wahrscheinlich pieksen die Rosen beim Pinkeln."

Machen statt meckern

Blume an Maschendrahtzaun. Quelle: privat
Samenbomben lassen Blumen wachsen, wo vorher nur Beton warBild: Martin Horacio

Martin ist in einem Düsseldorfer Straßencafe verabredet. Er trifft Fu, einen Düsseldorfer Physiotherapeuten. Fu ist sein Nickname im Internet, seinen richtigen Namen will der 33jähige nicht bekanntgeben. Denn auch Fu ist Guerilla-Gärtner. Er bepflanzt die Verkehrsinseln vor seinem Haus und hat große Pläne. Will das Wohn-Viertel umgestalten, aber richtig. Nur dafür braucht er Hilfe. Martin könnte ein Anfang sein. Die beiden sehen sich gerade zum ersten Mal. Sie haben sich übers Internet kennengelernt, auf den Guerilla-Seiten. Fortan wollen sie zusammen gärtnern. "Es tut sich etwas", sagt Fu. Seine Nachbarn würden auch schon anfangen, Unkraut zu zupfen und ein bisschen was zu pflanzen. Das Motto der Düsseldorfer scheint aufzugehen: "Selber aktiv werden, statt immer nur über die Stadt zu meckern."

Nur ganz selten würden Gärten zerstört, bestätigt Richard aus London. Ein Gärtner müsse halt immer Optimist sein. "Menschen mögen Pflanzen. Sie zerstören sie nicht."

"Rosa Rose" in Berlin

Garten Rosa Rose. Quelle: Julia Jahnke
Gemeinsam gärtnern - der Berliner Gemeinschaftsgarten Rosa Rose im vergangenen SommerBild: Julia Jahnke

Das hatten Julia Jahnke und ihre Berliner Mit-Gärtner auch gehofft. Jahrelang hatte sich niemand um die verlassenen Grundstücke in Berlin Friedrichshain gekümmert. Voll von Müll waren die Brachflächen, eine Halde für Schutt, ein einziges Hundeklo. Das wollten die Berliner ändern. 20 Leute fanden sich zusammen, entmüllten das Gelände, fingen an zu pflanzen. Ein Garten entstand, 2000 Quadratmeter groß: Der Garten "Rosa Rose". Ein Gemeinschaftsprojekt, ein Vorzeigeprojekt mit dem Motto "Eine andere Welt ist pflanzbar". Immigranten wurden integriert, Fremde zu heimischen Gärtnern. Kinder hatten plötzlich eine Spielfläche mitten in Berlin, Nachbarn trafen sich an der eigenen kleinen Bar im Garten. Salat wuchs neben Dahlien und Politiker aller Fraktionen kamen vorbei und lobten die Idee. Bürgerschaftliches Engagement nannten sie es, was die Berliner Guerilla-Gärtner dort machten. Die eben nicht nur nachts heimlich graben wollten.

"Es tut weh"

Proteste gegen den Abriss. Quellle: Margret Thieme, Gemeinschaftsgarten Rosa Rose
Verzweifelte Proteste halfen nichts: Rosa Rose ist zerstörtBild: Gemeinschaftsgarten rosa rose

Es änderte nichts, keines der vielen Gespräche mit den vielen Behörden. Eine Immobiliengesellschaft kaufte die Grundstücke. Die Planierraupen rückten an, trotz verzweifelter Proteste der Gärtner. Aber gegen Planierraupen helfen keine Samenbomben. "Es tut einfach weh", sagt Julia. "Es ist absurd", sagt ihre Mitgärtnerin Frauke. "In anderen Städten wird so ein Engagement von Bürgern mit Fördergeldern unterstützt. Wir dagegen werden abgerissen." Zwei Drittel des Gartens Rosa Rose sind bereits zerstört, auch das letzte Drittel ist schon verkauft. Der Frust ist groß bei den Berlinern Guerilla-Gärtnern. Wie Stehaufmännchen suchen sie trotzdem neue Flächen, wollen weitermachen, irgendwie. Sie kämpfen darum, etabliert zu werden, offiziell anerkannt, mit der Unterstützung von Behörden gärtnern dürfen.

Legales Gärtnern?

Rosa Rose Garten in Berlin. Quelle: Julia Jahnke
Aus Brachflächen werden blühende Gärten - überall auf der WeltBild: Julia Jahnke

In anderen Städten ist das schon der Fall. So legalisierte das New Yorker Gartenprogramm Green Thumb die Aktivitäten der Garten-Piraten. Gärtner können besetzte Grundstücke für einen Dollar im Jahr mieten, die Organisation stiftet sogar Samen und Erde. Mittlerweile gibt es in New York mehr als 600 grüne Oasen, gepflegt von rund 20.000 Menschen.

"In London wäre das unser Sieg", sagt Richard. "Wenn du erst einmal die offizielle Erlaubnis hast, dann bist du wirklich ein öffentlicher Gärtner."

Richard ist zurzeit im Stress. Gerade ist sein Buch rausgekommen, über die Guerilla-Gärtner-Bewegung. Am Bahndamm muss der Salat geerntet werden. Und der Lavendel vor dem Parlamentsgebäude braucht Wasser. "Gärtnern macht Menschen glücklicher", sagt Richard. Damit sind die Kämpfer mit dem grünen Daumen wohl die glücklichsten Guerillas der Welt. Mit Erde unter den Fingernägeln.