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Heimat finden

13. April 2009

Die Kölner Weidengasse ist eine kleine, aber stadtbekannte Geschäftsstraße. Hier haben sich auf kleinstem Raum unterschiedliche Kulturen niedergelassen, die zusammen leben und arbeiten.

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Gesamtansicht der Weidengasse (Foto: Tamara Himmel)
In der Weidengasse leben Türken, Armenier und Deutsche Tür an TürBild: Tamara Himmel

Schon seit dem frühen Mittelalter war die Weidengasse in Köln eine Straße mit einer sehr heterogenen Bevölkerung. Der Grund dafür ist die Nähe zum Rhein und zum Bahnhof. Hafenarbeiter, Kleinbürger, Handwerker und Kaufleute lebten und arbeiteten dort gemeinsam.

Als im 19. Jahrhundert die Bedeutung der Kölner Hafenanlage zurück ging, avancierte der Stadtteil zum neuen Bahnhofsviertel. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Gegend zerstört. Von den einst prosperierenden Wohn-, Gewerbe- und Handelsarealen war nichts mehr übrig. Der Bau einer großen Verbindungsstraße, die die Altstadt durchschneidet, tat sein Übriges. Viele Einwohner zogen weg.

Erst seit den 1970er-Jahren wird das abgewirtschaftete Viertel wieder wahrgenommen: Einwanderer sehen in dem billigen Wohnraum und in der Nähe zum Bahnhof eine Chance. Sie lassen sich nieder, gründen Läden und Gewerbebetriebe. Das Viertel erwacht zu neuem Leben.

Neu-Anfang in der Weidengasse

Aret Danali, ein armenischer Ladenbesitzer, nennt das Leben auf der Weidengasse heute bunt und harmonisch: "Wenn man über die Straße geht, hört man so viele Sprachen auf einmal. Die Anwohner und Geschäftsleute grüßen sich morgens auf der Straße. Es ist ein absolut warmes Zusammenleben." Der Mann mit dem kahl rasierten Kopf ist in Deutschland geboren. Sein Vater Artin Danali kam 1972 nach Deutschland. Das Familiengeschäft "Arda Export" gibt es mittlerweile schon seit 20 Jahren.

Zurück in die Türkei möchten weder Vater noch Sohn. "Ich bin hier geboren und aufgewachsen, ich kenne es nicht anders und ich werde auch immer hierbleiben.“ Der Vater sieht es ähnlich: "Ich habe meine Kinder und Enkelkinder hier, was soll ich dann in der Türkei machen?"

Fischladen in der Weidengasse (Foto: Tamara Himmel)
Viele Migranten haben sich eine eigene Existenz aufgebautBild: Tamara Himmel

Nicht alle denken so. Am oberen Ende der Weidengasse hat Tarek Lara sein "Fisch Paradies". Der Marokkaner lebt seit 12 Jahren in Köln. Auf die Frage, ob es ihm in Deutschland gefällt antwortet er: "Was heißt gefällt es dir? Jedes Land hat schöne und schlechte Seiten. Ich möchte eine Weile hierbleiben, aber danach möchte ich gerne in den Süden Spaniens verreisen oder auswandern."

Lara hat in Köln ein studiert. Das Studium hat er abgebrochen. Elektro- und Kommunikationstechnik lag ihm nicht. Seitdem verkauft er Fische und Meeresfrüchte in der Weidengasse. Die meisten seiner Kunden sind Deutsche.

Über so viel deutsche Kundschaft kann sich nicht jeder in der Weidengasse freuen. Gerade deutsche Geschäftsinhaber bemängeln, dass Kunden ausblieben, weil sie sich nicht in die türkische Straße trauten. Vom Zusammenleben der Kulturen sei nicht viel zu spüren. Geht man jedoch unvoreingenommen in die Weidengasse, wird man mit offenen Armen empfangen. Eine Einladung auf einen türkischen Tee oder Baklava ist dabei keine Seltenheit.

Integrationsbrücke Bosporus

Auf der geschäftigen Weidengasse versteckt sich ein kleines Schmuckstück: Das Restaurant Bosporus. Von außen wirkt das Gebäude unscheinbar. Im Inneren verbirgt sich jedoch ein türkisches Nobel-Restaurant, deutschlandweit die einzige Adresse auf diesem Niveau.

Ali Balaban, der Gründer und Besitzer des Spezialitätenrestaurants, ist schon seit 1976 in Deutschland. Er hat Architektur studiert, ist aber bei seiner Leidenschaft, der Gastronomie, hängen geblieben. Dass er sein Restaurant in der Weidengasse eröffnet hat, war eher ein Zufall, sagt er, und der Standort habe auch viele Nachteile. Doch Ali Balaban ist geblieben: "Ich wollte hier in diesem Viertel einfach meine Tischkultur zeigen und eine Integrationsmission übernehmen." Die Gäste sollen nicht nur die gehobene türkische Küche kennen lernen.

Auch Literaturabende, Kunstausstellungen, Modenschauen und Tagungen finden hier statt. Für die Weidengasse und seine Anwohner hat Ali Balaban schon viel getan: "Wir leben hier, wir fühlen uns sehr wohl und wir sind für diese Gesellschaft verantwortlich. Dafür müssen wir auch etwas tun!"

Der Sozialwissenschaftler Wolf-Dietrich Bukow hat die Weidengasse in seiner Migrationstudie "Wie viel Fremdheit verträgt das Land?" beschrieben: Das Viertel ermögliche den unterschiedlichen und fremden Menschen, heimisch zu werden - ohne ihre Eigenart und ihre Kultur aufgeben zu müssen. Und so leben auch heute noch Türken, Armenier, Perser, Griechen, Italiener, Marokkaner und Deutsche Tür an Tür.

Autorin: Tamara Himmel

Redaktion: Kay-Alexander Scholz