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Aus dem Tempel der Unfehlbarkeit

9. Oktober 2009

Seit 60 Jahren ist die Bundespressekonferenz eine Institution. Zum Jubiläumsfest kam die politische Elite, und der Bundespräsident lobte die Presse - und las ihr die Leviten.

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Bild: DW

Eine Faustformel im Journalismus lautet: Journalisten haben immer Recht. Kein Wunder: Sie sind ja dazu da, anderen Leuten Fehler nachzuweisen und Skandale aufzudecken. Da bleibt wenig Platz für eigene Mängel.

Jens Thurau

Einer der Tempel der Unfehlbarkeit der Journalisten ist die Bundespressekonferenz. Das ist eine sehr eindeutig deutsche Einrichtung, die dieser Tage 60 Jahre alt wurde. Kurz nach dem Krieg als Zusammenschluss von politischen Korrespondenten am damaligen Regierungssitz Bonn gegründet, ersann dieser Verein eine kluge Regel: Er lud die Politiker zu sich ein - das tut er bis heute. Der Vorteil: Die Gastgeber, die Pressemenschen also, bestimmen die Regeln, die Politiker müssen antworten, ob sie wollen oder nicht.

Der politische Hofstaat

Zum Jubiläumsfest in dieser Woche in Berlin kam der komplette politische Hofstaat: Die Kanzlerin, FDP-Chef Guido Westerwelle (bald Außenminister, wie man hört) SPD-Chef Franz Müntefering (bald in Rente, gilt als sicher) - und sogar Bundespräsident Horst Köhler. Der hielt den versammelten Feier-Journalisten dann eine Rede, die es in sich hatte.

Denn sie handelte von dem, was man das Selbstverständnis der Journalisten nennen könnte - und mit dem hat Horst Köhler offenbar so seine Probleme. Kein Wunder - er selbst ist von den Korrespondenten lange als dröge und unsicher beschrieben worden. Jetzt ermahnte er die Journalisten, zwei Dinge wieder mehr zu beachten, die - so Köhler - immer mehr in Vergessenheit gerieten: Leidenschaft, und - etwas einfach ausgedrückt - Ahnung in der Sache.

Neigung zum Zynismus

Tatsächlich neigen nicht wenige Journalisten zum Zynismus. Ob Altersarmut oder Terrorangriff, Flutkatastrophe oder Finanzkrise - alle Themen sind gleich, und sie unterscheiden sich nur in der Art, wie sie präsentiert werden können. Und von den immer komplexer werdenden Zusammenhängen verstehen immer weniger Journalisten wirklich etwas: Wie funktioniert noch mal genau der neue Gesundheitsfonds?

Die zupackende Rede Köhlers quittierten die versammelten Pressemenschen brav mit Applaus - aber nicht wenigen war anzusehen, dass sie doch beleidigt waren, das Gefühl hatten, hier sei das Staatsoberhaupt denn doch zu weit gegangen. Und wer genau hinsah, konnte erkennen, dass besonders die Kollegen beleidigt waren, die ansonsten in der Bundespressekonferenz gern sehr scharfzüngig fragen können...

Aber egal: Am Ende wurde es versöhnlich, denn Horst Köhler sagte: "In einem Staat, in dem sich Politiker und Journalisten stets verstehen, möchte ich nicht leben - es wäre kaum eine Demokratie."

Gut gebrüllt, Herr Bundespräsident!

Autor: Jens Thurau
Redaktion: Hartmut Lüning