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Theatertreffen 2010

21. Mai 2010

Abstürze, Verlierer, Entseelte: Das Berliner Theatertreffen zeigt in diesem Jahr raue Wirklichkeiten. Fast alle Inszenierungen, die nach Berlin geladen wurden, sind bemerkenswert krisengeschüttelt.

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Logo des Theatertreffens 2010, Berlin

Nach dem Festival wird das Haus der Berliner Festspiele mit Mitteln aus dem Konjunkturpaket umfänglich verschönert und modernisiert. Jetzt, zum Gipfeltreffen der Theaterzunft, hat man zumindest seinen Eingangsbereich aufgehübscht. Beziehungsweise zeitgeistig gediegen gestaltet - mit Bretterbohlenwegen, die durch Kiesfelder führen, und einer an die Wand geklatschten, grob gezimmerten Laubenkolonnade, die den Charme von Baubuden versprüht. Zünftig schaut das aus, ein bisschen nach "Wir müssen den Gürtel alle enger schnallen", und soll wohl einstimmen auf die rauen Wirklichkeiten, die drinnen auf der Bühne verhandelt werden.

Krisen, Verlierer, Entseelte

Um die vertrackte Wechselbeziehung von Ökonomie und Moral geht es in Horvaths Volksstück "Kasimir und Karoline". Der Niederländer Johan Simons hat es für ein paar europäische Groß-Festivals inszeniert und schließlich in eingedampfter Form im Schauspiel Köln heimisch werden lassen. In Berlin wurde mit seiner höhnischen Sicht auf den Krisenverlierer Kasimir und dessen einigermaßen durchtriebene Braut Karoline das Theatertreffen eröffnet. Womit sich bereits abzeichnete, was dann an weiteren Abenden auf das Publikum zukommen sollte: nämlich Krisen, Verlierer und Entseelte.

Theatertreffen 2010 Flash-Galerie
Szene aus "Die Stunde, da wir nichts voneinander wussten"Bild: Peter Manninger


Praktisch alle Produktionen, die von der Auswahljury eingeladen wurden, hätten, so deren Sprecher Wolfgang Höbel, damit etwas zu tun. "Und ich würde mal sagen, das hängt damit zusammen, dass das Theater sich seit Jahren mit dieser Thematik beschäftigt. Auch in Zeiten bester wirtschaftlicher Verhältnisse war es für das Theater gerade in Deutschland eigentlich immer ein Thema, dass man auch die Verlierer des Wirtschaftsbooms im Theater zeigt und für die Anwalt ist".

Fies und brutal

Wobei das Theater, das sich da nun in Berlin präsentiert, gelegentlich ein recht aparter Anwalt dieser Verlierer ist. Bei Karin Beier beispielsweise, der neuerdings so erfolgreichen Intendantin des Kölner Schauspielhauses. Sie hat die Handlung von Ettore Scolas Film "Die Schmutzigen, die Hässlichen und die Gemeinen" nach Deutschland verlegt und stellt nun gleich vier Generationen einer erbärmlich herunter gekommenen Familie hinter einer Glaswand zur Schau. Und die Zuschauer, Voyeuren gleich, glotzen zu, wie diese geldgeilen Gestalten all die niederträchtigen Dinge tun, die man derartigen Menschen gerne nachsagt: grauenvoll lachen, saufen, vögeln, brutal fies zuschlagen.

Lebendig katastrophal

Wenn es im Fernsehen um die Mühseligen und Beladenen in unserer Gesellschaft gehe, sagt Wolfgang Höbel, dann sehe er wahnsinnig viel Kitsch. In der diesjährigen Theatertreffen-Auswahl aber werde "intellektuell, mit Distanz und mit einer wirklich großen Lebendigkeit über die katastrophale oder vielleicht nicht ganz so katastrophale wirtschaftliche Situation diskutiert", die wir gerade erleben.

Theatertreffen 2010 Flash-Galerie
Szene aus "K. Cooper - Life and Times - Episode ".Bild: Reinhard Werner


Rätselhaft humorvoll ist der Kommentar des Schweizers Christoph Marthaler zu Abstieg und Stillstand ausgefallen. Seine Bühnenbildnerin Anna Viebrock hat ihm eine Art Ausstellungspavillon gebaut. Ein verdichtetes westeuropäisches Eigenheim, in dem nun Menschen ausgestellt werden, denen der Wohlstand weg bricht, die eine Notgemeinschaft bilden, aber nicht zusammen leben, die sich nicht verstehen und Dinge von sich geben, die in unserem Heute rumoren. Es gibt einen, der sie alle bewacht, und es gibt wunderschöne Musik, aber die nützt auch nichts mehr.

Und außerdem

Natürlich hat dieses Theatertreffen erst nachträglich das Krisenetikett angepappt bekommen. Denn es steht ja unter keinem Motto, sondern soll die bemerkenswertesten Inszenierungen der Saison ausstellen. Ob das gelungen ist, wird von der Theatergemeinde heftig diskutiert. Und beinahe jeder Insider hätte alles ganz anders gemacht. Jetzt müssen sie vorlieb nehmen mit dem, was da ist. Dazu gehören auch geturnte mittelamerikanische Kindheitserinnerungen, inszeniert am Wiener Burgtheater sowie ein multimediales Spektakel über Drogen, Geld, Über- und Unfälle. Erstaunlicherweise soll das eine Inszenierung von Peter Handkes stummem Passanten-Stück "Die Stunde da wir nichts voneinander wussten" sein. Und dazu gehört eben auch der steinige Weg im Haus der Berliner Festspiele, über den jeder gehen muss, der sehen will.

Autorin: Silke Bartlick
Redaktion: Manfred Götzke