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Fluchtmuseum Schloss Colditz

15. April 2011

Unübersehbar thront es über dem Ort – das Colditzer Schloss. Während des Zweiten Weltkriegs ließ Hitler dort hochrangige alliierte Offiziere inhaftieren. Colditz galt als ausbruchssicher. Das war es aber nicht.

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Schloss Colditz (Foto: Cornelia Kasten)
Bild: Cornelia Kasten

Die wenigsten in Deutschland kennen Colditz. Der gut 5000 Einwohner große Ort liegt nicht weit von Leipzig entfernt, an dem Fluss Mulde - der manchmal wegen seiner Hochwasser in Schlagzeilen gerät. Im englischsprachigen Raum ist Colditz hingegen bekannt. "Wenn Sie sich in London auf die Straße stellen und sagen, Sie sind aus Colditz, dann weiß garantiert jeder Dritte, was Colditz ist, wo es ist und was es damit für eine Bewandtnis hat", so ein Einwohner. Seine Berühmtheit in England verdankt Colditz Castle nur wenigen, allerdings düsteren Jahren: dem Zweiten Weltkrieg.

Schloss Colditz: Theatergruppe (Foto: Gesellschaft Schloss Colditz)
Die Gefangenen von Schloss Colditz beim TheaterspielBild: Gesellschaft Schloss Colditz

Isolierte Lage

Damals erklärte die deutsche Wehrmacht Colditz zum ausbruchssicheren Gefängnis und brachte dort englische, französische, polnische, belgische und niederländische Kriegsgefangene unter. Viele von ihnen hatten schon versucht, aus anderen Gefängnissen auszubrechen. Aber von hier sollte keiner entkommen: zu hoch der Fels, zu isoliert der Ort mitten im Deutschen Reich. Denn, so Schlossführerin Steffi Schubert, Colditz lag "irgendwo im Nirgendwo". Steffi Schubert hat sich in ihren Führungen auf englischsprachige Gäste spezialisiert. "Für viele ist es ein Traum, der wahr wird, nachdem sie Colditz im Film gesehen haben, Bücher gelesen haben, und jetzt sind sie plötzlich hier. Dann wollen sie en detail möglichst viel wissen", sagt sie.

Als "OFLAG IV C" ging das Colditzer Gefangenenlager in die Geschichte ein. Zwischen 1941 und 1945 waren rund 1500 alliierte Offiziere dort inhaftiert, darunter auch Prominente, zum Beispiel Giles Romilly, ein Neffe Winston Churchills, oder Angehörige des britischen Königshauses. Das Schloss erhielt kriegswichtige Bedeutung.

Fluchtgeschichten

Schloss Colditz: Offizier als Dame (Foto: Gesellschaft Schloss Colditz)
Tarnung als DameBild: Gesellschaft Schloss Colditz

Für die meisten der Insassen war es geradezu eine Pflicht, auszubrechen oder anderen dabei zu helfen. Über 300 Fluchtversuche sind dokumentiert, 31 gelangen. Ziel war erst einmal die neutrale Schweiz – ein weiter Weg. Jede erdenkliche Möglichkeit überlegten sich die Gefangenen, um aus dem Schloss herauszukommen: Sie verkleideten sich, bauten Pappattrappen, die sie bei Zählappellen hochhielten, versteckten sich in Kisten und Postsäcken, sägten die Gitterstäbe durch, kletterten über Mauern und Terrassen, seilten sich mit Bettlaken ab. Und sie gruben zahlreiche Tunnel.

Dem Gefangenen Boulé schickte seine Frau eine blonde Perücke, Mitinsassen nähten ihm ein Damenkostüm. So verkleidet konnte Boulé das Schloss verlassen. Aber andere Gefangene befanden sich gerade auf dem Rückweg vom Park. Einer von ihnen bemerkte, dass die vermeintliche Frau ihre Armbanduhr verloren hatte. "Fräulein, ihre Uhr", rief er. Sie reagierte nicht, deshalb folgte ihr ein Wachsoldat, der dann den Franzosen Boulé erkannte. Aus der Traum von der Freiheit.

Die Strafen für Fluchtversuche waren rein disziplinarisch: bis zu vier Wochen Einzelhaft - Zeit, um über den nächsten Ausbruchsversuch nachzudenken. Die Offiziere wurden in der Regel gut behandelt, die Bestimmungen der Genfer Konvention eingehalten. Sie mussten nicht arbeiten, sondern spielten Theater, lernten Sprachen, hielten Vorträge, trieben Sport.

Medienindustrie

Schloss Colditz: Radioraum (Foto: Cornelia Kasten)
Radio unterm DachBild: Cornelia Kasten

Bekannt wurde Colditz vor allem durch Pat Reid. Der Engländer entkam durch ein Kellerloch und setzte in England eine Medienindustrie in Gang, die bis heute andauert: Seine Erinnerungen wurden von Warner Brothers verfilmt, die BBC drehte Filme über Colditz Castle, und auch ein Spiel "Escape from Colditz" kam auf den Markt.

Vor allem Engländer reisen deshalb nach Colditz. 15.000 bis 20.000 sind es angeblich jedes Jahr. Sie wollen die Originalschauplätze ihrer Helden sehen. Davon gibt es auf dem riesigen Schloss viele, und immer tauchen neue auf. Denn das Schloss wird seit Jahren saniert. Dabei wurde auch eine Radiostation auf dem Dach entdeckt, die die Gefangenen damals gebaut hatten. Bisher sind 40 Prozent der Anlage zugängig, als Jugendherberge, sächsische Landesmusikakademie, Fluchtmuseum und Sitz der "Gesellschaft Schloss Colditz."

Spektakulärer Ausbruchsplan

Mit einem Segelflieger vom Schlossdach über die Mulde zu segeln - das wäre wohl der spektakulärste Ausbruchsversuch gewesen. Über eineinhalb Jahre bauten die Inhaftierten heimlich ein Flugzeug aus Dielenbrettern und Betttüchern, die sie mit ihrem Frühstücksporridge härteten. Zum Einsatz kam das Gefährt aber nicht. Denn am 16. April 1945 befreiten die Amerikaner Colditz. Der bald zu Brennholz verarbeitete Flieger wurde in England später nachgebaut und steht heute im Imperial War Museum in London. Zum Jahrestag der Befreiung steht nun auch ein deutscher Nachbau in Colditz – genau dort, wo einst das Original starten sollte.


Autorin: Susanne von Schenck
Redaktion: Petra Lambeck