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Stürzt uns der Krieg in eine Wirtschaftskrise?

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Henrik Böhme
9. März 2022

Der von Russland angezettelte Krieg in der Ukraine wird die Erholung der Weltwirtschaft von der Corona-Pandemie abrupt beenden. Was danach kommt, steht in den Sternen, meint Henrik Böhme. Gut wird es nicht.

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Menschen fliehen unter einer zerstörten Brücke, von der bereits ein Lieferwagen gestürzt ist und auf dem Dach liegt
Die täglichen Bilder aus der Ukraine: Menschen auf der Flucht und massive ZerstörungenBild: Efrem Lukatsky/AP Photo/picture alliance

Krisen und Kriege verändern vieles, manchmal alles. Nach dem Zweiten Weltkrieg entstand eine neue Weltordnung, aber auch Institutionen wie die Vereinten Nationen, die verhindern sollten, dass solch ein verheerender Krieg sich jemals wiederholt. Nach der Weltfinanzkrise nahmen die Staaten die Banken enger an die Kandare und stärkten die Aufsichtsbehörden. In der Corona-Krise lernten wir endlich die Vorteile der Digitalisierung schätzen, im Homeoffice zum Beispiel.

Und nun dieser Krieg, vom Zaun gebrochen von einem Mann, der Fehler der Vergangenheit (zumindest, was er dafür hält) korrigieren will. Einem Mann, dessen Gas-Verkäufe seit Jahrzehnten unsere Wohnungen heizen. Der Präsident eines Landes, das alles hätte, um eine Supermacht zu sein, auch ohne in andere Länder einzumarschieren: jede Menge Rohstoffe, gut ausgebildete Menschen, eine großartige Kultur. Das es aber verpasst hat, daraus etwas zu machen: Die Milliardenerlöse aus dem Handel mit Rohstoffen wurden eben nicht verwendet, um das Land technologisch an die Weltspitze zu bringen. Stattdessen liefern sich die Chefs der Rohstofffirmen - im Fachjargon Oligarchen genannt - einen irrsinnigen Wettlauf um die luxuriöseste Yacht, den wertvollsten Immobilienbesitz, den teuersten Fußballverein.       

Treffen die Sanktionen die Richtigen?

Und nun dieser Krieg, von dem wir nur wissen, dass er brutal geführt wird, aber nicht, wann und wie er enden könnte und wie weit der Mann im Kreml zu gehen bereit ist. Was wir sehen: Er eint den sogenannten Westen, er bewirkt Sanktionen von großer Schärfe. Ja, der Rubel erodiert, das Kreditniveau des Landes ist auf Ramschniveau, Investoren samt Kapital nehmen Reißaus. Aber werden die Sanktionen die erhoffte Wirkung erzielen? Treffen sie die, die es treffen soll oder doch nur die einfachen Menschen auf der Straße, die vorerst keine Levis-Jeans oder iPhones mehr kaufen, keine Hamburger bei McDonalds mehr ordern können? 

Henrik Böhme, DW-Wirtschaftsredaktion
Henrik Böhme, DW-Wirtschaftsredaktion

Europas Westen, abhängig von den russischen Drogen Öl und Gas, sorgt sich um seine Industrien, die zu einem großen Teil auf diese fossilen Brennstoffe angewiesen sind. Die Europäer haben Angst vor dem nächsten Winter, weil ihre Wohnungen kalt bleiben könnten. An den Tankstellen explodieren die Preise, der Ölpreis strebt zu immer neuen Höhen. Und das ist erst der Anfang. Nickel zum Beispiel - von dem Russland ebenfalls reichlich hat und das unverzichtbar ist unter anderem bei der Stahlerzeugung - ist von einem Tag auf den anderen mehr als 50 Prozent teurer geworden. Zugelegt haben ebenso Palladium, Aluminium, die Edelgase Neon und Xenon - auch das wichtige Rohstoffe, die von westeuropäischen Firmen zu einem Gutteil aus Russland importiert werden. 

Zutaten für eine Weltwirtschaftskrise

Schon laufen die ersten Wetten, wann der Ölpreis die 200-Dollar-Marke knackt. Worauf man gewiss nicht mehr wetten muss: Die Inflation wird zum ganz großen Problem, denn es gibt wenig Gründe anzunehmen, dass sich die Lage an der Preisfront entspannen könnte. Das Gegenteil ist der Fall. Das alles klingt nach Zutaten für eine neue Krise der Weltwirtschaft. Aber die Schatullen der Finanzminister sind leer nach den Milliarden-Hilfsprogrammen im Kampf gegen Corona. Wie also will man mögliche neue Konjunkturhilfen finanzieren?    

Nun werden in Europas Hauptstädten eilig Pläne geschmiedet, von russischem Gas und Öl unabhängiger zu werden. Das ist leichter gesagt als getan - und schnell wird es nicht gehen. Teuer wird es obendrein: Europas Speicher vor dem nächsten Winter mit Flüssiggas statt russischem Gas zu füllen, dürfte nach Expertenschätzungen um die 70 Milliarden Euro kosten.   

Geht es ohne Russland?

Andererseits wird sich Moskau zweimal überlegen, den Gashahn abzudrehen. Denn das bringt täglich Millionen und Abermillionen ein: Allein im Februar überwiesen die Europäer 5,6 Milliarden Euro an Gazprom und Co. An jedem Fass Öl, das Russland exportiert, verdient das Land bei den derzeitigen Preisen zwischen 70 und 90 Dollar. Helfen könnte hier nur, die verfügbare Menge Öl auf den Märkten drastisch zu erhöhen, um den Preis zu drücken. Andererseits: Die Staatskasse im Kreml ist prall gefüllt, die Schulden vergleichsweise niedrig und mit Peking hat man treue Freunde in der Hinterhand, die gierig sind nach neuen Rohstoffquellen und Absatzmärkten.

Die große Frage, vielleicht zu früh gestellt, aber lautet: Wie kann unser künftiges Verhältnis zu Russland aussehen? Kann es überhaupt eines geben? Klar, der Krieg muss aufhören, am besten sofort. Das Leiden der Menschen in der Ukraine muss ein Ende haben. Aber Russland auf Dauer vom Welthandel isolieren? Sehr schwierig. Die Probleme der Welt (den Klimawandel zum Beispiel) lösen ohne Russland? Schwer vorstellbar bis unmöglich. Natürlich geht es nur MIT Russland. Aber nur mit einem Russland OHNE Putin.  

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Henrik Böhme Wirtschaftsredakteur mit Blick auf Welthandel, Auto- und Finanzbranche@Henrik58