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Vogue-Shooting: Selenskyj und Ehefrau in Kritik

Stuart Braun
28. Juli 2022

Derzeit gehen "Vogue"-Bilder der ukrainischen First Lady Olena Selenska und ihres Mannes Wolodymyr Selenskyj um die Welt - und lösen eine kontroverse Debatte aus.

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Ausschnitt des Vogue-Covers mit Olena Selenska.
Olena Selenska ziert das Cover der Vogue - und erntet dafür auch KritikBild: Annie Leibovitz/Vogue

Olena Selenska, die Frau des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und ehemalige Komödiendrehbuchautorin, war stets lieber hinter den Kulissen - bis sie die First Lady der Ukraine wurde.

Zum ersten Mal ließ sie sich 2019 von der Vogue ablichten. Nun ist sie wieder auf dem Cover des US-amerikanischen Modemagazins zu sehen - inmitten von Kriegszeiten. Die Titelgeschichte: ein emotionales Interview, das Einblick in ihr Privatleben als First Lady gibt.

Aber nicht nur sie hat die Vogue fotografiert, sondern auch ihren Mann, den ukrainischen Präsidenten. Auf einem Foto sind die beiden eng umschlungen in einem dunklen Raum, posierend vor Kriegstrümmern und Soldaten zu sehen.

Ein Porträt der Tapferkeit?

Auf dem Coverbild ist Selenska allein zu sehen: in einem schlichten Outfit, mit flachen Schuhen und ernster Mine sitzt sie auf einer Treppe. Daneben ist zu lesen: "Porträt der Tapferkeit" (Original: "Portrait of Bravery"). Es ist eines von mehreren Fotos, das von der Starfotografin Annie Leibovitz geschossen wurde. Andere Bilder zeigen die First Lady mit ihrem Ehemann, inmitten von Sandsäcken oder in einem zerstörten Flugzeug.

Selenska zeigt sich im Interview mit dem Modemagazin von ihrer emotionalen Seite. Die vergangenen Monate seien "die schrecklichsten meines Lebens und des Lebens aller Ukrainer" gewesen. "Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass irgendjemand nachvollziehen kann, wie wir bisher emotional damit fertig geworden sind".  

Die ausdrucksstarken Bilder der Titelgeschichte haben gleich am Tag nach der Veröffentlichung eine kontroverse Debatte ausgelöst. Zahlreiche konservative US-Politiker und Kommentatoren kritisieren die Bilder.

"Während wir der Ukraine 60 Milliarden Dollar an Hilfen schicken, macht Selenskyj Fotoshootings für die Vogue", twitterte zum Beispiel die republikanische Kongressabgeordnete Lauren Boebert. "Diese Leute denken, wir sind nichts weiter als ein Haufen Trottel."

Erster PR-Fehltritt Selenskyjs?

Obwohl es keinerlei Hinweise darauf gibt, dass das Fotoshooting durch Hilfsgelder finanziert wurde, tobt in den Vereinigten Staaten nun eine hitzige Debatte zwischen den Rechts-Konservativen und den Liberalen, die eher pro-ukrainisch eingestellt sind.

"Ich kann mich nicht daran erinnern, dass die Frau von Saddam Hussein auf dem Cover der Vogue war, als der Irak illegal überfallen wurde", hieß es in einem anderen Tweet.

Andere üben subtilere Kritik und schreiben, dass die stilisierten Bilder nicht gut für das Image des Präsidentenehepaares seien und der Ukraine eher schaden würden.

"Das Vogue-Cover ist für Selenskyj der erste echte PR-Fehltritt", heißt es in einem Tweet. "Fünf Monate in einem Krieg und nur eine Propaganda-Fehlkalkulation ist gut, alles andere hat er ziemlich gut hinbekommen."

Weltweiter Fokus auf einen laufenden Krieg

Trotz der scharfen Kritik unterstützten auch einige die Entscheidung des ukrainischen Präsidentenpaares, sich in der Vogue ablichten zu lassen.

"Ich liebe die Bilder", twitterte ein User. "Sie zeigen den Kampf der Ukraine um das Überleben und die Freiheit. Ich denke, es ist wichtig, das der Welt zu zeigen, damit sie diesen Kampf nicht vergisst und ihrem schönen Land hilft. Das ist das Ziel dieser kraftvollen Bilder."

Die Ukrainerin Melaniya Podolyak, die in den sozialen Medien über den Krieg berichtet, bezeichnet einen Großteil der Kritik als "Westsplaining".

"Die Ukraine tut alles, was sie kann, um die Aufmerksamkeit des Westens auf die Tragödie in ihrem Land zu lenken und die westliche Öffentlichkeit dazu zu bringen, weiterhin Waffenlieferungen nach Kiew zu schicken. Die Leute, die sich über Olena Selenskas Vogue-Shooting aufregen, verstehen nicht, warum sie es getan hat", twitterte Visegrád 24.

Selenska spricht in Washington D.C.

Dass Selenska mit ihren Aktionen ein Bewusstsein für die Situation in der Ukraine schärfen will, wurde auch letzte Woche deutlich, als sie auf einer unangekündigten Reise nach Washington D.C. im US-Kongress an die Vernunft der amerikanischen Politiker appellierte:

"Ich bitte jetzt um etwas, worum ich niemals bitten wollte: Ich bitte um Waffen - Waffen, die nicht verwendet werden, um einen Krieg auf dem Land eines Anderen zu führen, sondern um das eigene Zuhause zu schützen. Und das Recht, in diesem Zuhause lebendig aufzuwachen."

Die ukrainische First Lady Olena Selenska steht an einem Rednerpult.
Olena Selenska spricht am 20. Juli vor Kongressmitgliedern auf dem Capitol Hill in Washington D.C.Bild: picture alliance / ASSOCIATED PRESS

Selenska als feministische Ikone

Val Voshchevska, eine ukrainische Aktivistin, hat das Coverbild mit der First Lady auf Instagram analysiert. Sie nimmt Selenska darauf als "feministische Ikone" wahr.

"Hättet ihr es jemals für möglich gehalten, eine First Lady zu sehen, die sich für ein Magazin wie ein Boss breitbeinig ablichten lässt?", fragt sie in ihrem Post. Dass das Haar nicht perfekt sitze, sie wenig Make-up trage und dass das Foto wenig gephotoshopt aussieht, lasse Selenska "wie eine echte Person wirken."

Sie schreibt weiter: "Mit diesem einen Foto zerstört Olena die sexistischen Erwartungen, dass eine First Lady eine tadellose Stepford-Frau sein muss". Mit den Worten "Wow, Olena Selenska und Annie Leibovitz - ihr habt es geschafft", schließt Voshchevska ihren Post ab.

Die rumänisch-deutsche Schriftstellerin Herta Müller schrieb einmal, dass Frauen ihre Individualität in Zeiten des Krieges durch Make-up und Mode zum Ausdruck bringen würden. "Es geht um Würde", schrieb die Literaturnobelpreisträgerin, die selbst vom rumänischen Geheimdienst schikaniert wurde. "Wenn man sich selbst verrät, dann hat man natürlich keine Würde mehr."

Müller wird in dem Buch "Ein Hauch von Lippenstift für die Würde: Weiblichkeit in Zeiten großer Not" von Henriette Schroeder zitiert. Darin wird erörtert, wie Frauen in den Balkankriegen oder unter Diktaturen in China und im Iran ihre Weiblichkeit als Symbol für Würde und Widerstand bewahrt haben.

Für einige ist die ukrainische First Lady Teil dieser Tradition.

"Die 'Empörung' über dieses Foto ist einfach nur Sexismus", hieß es in einem Tweet. "Es ist eine Vogue-Story über Olena und die unglaubliche Arbeit, die sie für ihr Land leistet. Sie trägt dazu bei, dass die Ukraine in den Köpfen und Herzen der Menschen bleibt. Außerdem ist es ein wunderschönes Bild von Stärke, Widerstandsfähigkeit und Liebe."

Adaption aus dem Englischen: Kevin Tschierse

DW Autor l Kommentatorenfoto Stuart Braun
Stuart Braun Australischer DW-Journalist und Buchautor.