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PolitikEuropa

Zank zwischen Frankreich und Großbritannien

Barbara Wesel
26. November 2021

Paris ist wütend auf Boris Johnson - er fordert Frankreich öffentlich auf, Bootsflüchtlinge zurückzunehmen. Post Brexit fehlt dafür aber die Rechtsgrundlage. Von einem Ministertreffen am Sonntag wurde London ausgeladen.

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Großbritannien Migranten werden gerettet und nach Dover gebracht
Migranten werden auf dem Ärmelkanal von der britischen Seenotrettungsorganisation RNLI in Sicherheit gebrachtBild: Henry Nicholls/REUTERS

Präsident Emmanuel Macron ist verärgert über die Methoden seines britischen Kollegen: Premierminister Boris Johnson hatte über Twitter einen Brief veröffentlicht, in dem er die französische Regierung auffordert, die Flüchtlinge, die den Ärmelkanal in kleinen Booten Richtung Großbritannien überqueren, einfach zurückzunehmen. Paris fühlte sich düpiert und lud daraufhin die britische Innenministerin Priti Patel von einem Treffen aus, das mit Ministern aus Nachbarländern und der EU-Kommission für Sonntag in Calais geplant ist.

Propagandakampagne aus London

Boris Johnson schrieb nach den üblichen Höflichkeiten und der Klage über die Tragödie und die Toten vom Mittwoch an seinen französischen Kollegen: "Wenn diejenigen, die unser Land erreichen, schnell zurückgenommen würden, wäre der Anreiz, sich in die Hände von Menschenschmugglern zu begeben, deutlich verringert." Außerdem habe die EU Rücknahmevereinbarungen mit Belarus und Russland, er hoffe ein solches Abkommen könne umgehend auch mit Großbritannien getroffen werden.

Infografik - Herkunftsländer der Ärmelkanal-Flüchtlinge - DE

Im gleichen Brief fordert Johnson die französische Seite quasi ultimativ dazu auf, eine gemeinsame Luft- und Seeüberwachung sowie gemeinsame Patrouillen von französischer Gendarmerie und der britischen Grenzpolizei einzurichten, entweder unter einem gemeinsamen Kommando oder durch die Entsendung von privaten Sicherheitsdiensten. Man könne damit schon am kommenden Montag beginnen. Nach der Tonart dieses Briefes aber wird derzeit zwischen beiden Seiten überhaupt nichts beginnen.

Der britische Premier formulierte zum Beispiel: "Ich fordere formell", was als Tonart unter Spitzenpolitikern vielleicht gegenüber Machthaber Alexander Lukaschenko in Belarus als angebracht gelten könnte, zwischen theoretisch befreundeten Nachbarländern aber als Brüskierung erscheint.

Britische Kommentatoren erinnern daran, dass es nach dem Brexit mit der früheren Rücknahmeverpflichtung vorbei ist. "Großbritannien hatte das Recht, Asylbewerber an andere EU-Länder zurückzuschicken, als es noch ein Mitgliedsland war. Dann kämpfte Boris Johnson dafür, die Kontrolle zurückzuholen", schrieb Guardian-Korrespondentin Jennifer Rankin. Im Talk-Radio LBC sagte James O'Brien: "Wenn wir weniger tun als unsere Verbündeten, können wir sie nicht darum bitten, Menschen von unserem Land fernzuhalten. Das ist einfach schlechte Politik." Und David Aaronovitch, Kommentator für die Times, schreibt auf Twitter:

"Es ist schwer, die Dummheit unserer Politik gegenüber Asylbewerbern zu erklären, die nicht mit dem Flugzeug hier ankommen. Dies aber zu einem Thema im französischen Wahlkampf zu machen, wo sich Härte gegen die Briten auszahlt, ist auf schlechte Art und Weise genial. Außerdem stinkt es nach humanitären Gesichtspunkten (…)".

Fast durchgehend werten Kritiker der Johnson-Regierung den offenen Brief als beabsichtigte Provokation, um weiteren Streit mit Frankreich vom Zaun zu brechen. Dabei gehe es dem Premierminister nicht um Ergebnisse, sondern darum, die Brexit-Fraktion in der Tory-Partei zufriedenzustellen.

Infografik Versuchte Überfahrten über den Ärmelkanal DE

 

Das Verhältnis ist zerrüttet

"Ich bin überrascht über diese Methoden, sie sind nicht seriös", erklärte Macron darauf. Er bot dagegen dem britischen Premier an, über die üblichen diplomatischen Kanäle Kontakt aufzunehmen, um weitere tödliche Dramen bei der Überfahrt von Flüchtlingen zu verhindern. "Man verhandelt nicht über solche Fragen zwischen Regierungschefs über Twitter oder offene Briefe. Wir sind keine Whistleblower", sagte der Franzose bei einer Pressekonferenz in Rom. Wenn London zur Seriosität zurückkehren würde, dann könne man die Gespräche wieder aufnehmen.

Wie wütend Paris über die ungewöhnliche Herangehensweise von Premier Johnson wirklich ist, zeigte sich auch an der Reaktion aus dem dortigen Innenministerium. "Wir betrachten den offenen Brief des britischen Premiers als unzulässig und konträr zu dem üblichen Austausch unter Kollegen", erklärten Diplomaten die Ausladung der britischen Innenministerin, sie sei nicht mehr "willkommen".

Die Regierung in Paris ist verärgert, weil der Brief aus London sowohl die französische Souveränität infrage stellt, als auch die Schuld für die Situation quasi auf sie abwälzt. Das konservative britische Massenblatt "Daily Express" titelte am Freitag prompt: "Britische Soldaten auf Patrouille an französischen Stränden". Der Elysée-Palast hatte zuvor erklärt, beide Länder teilten die Verantwortung in der Flüchtlingsfrage und man erwarte von der britischen Seite die Bereitschaft zur Zusammenarbeit wie auch, dass "die Tragödie nicht für politische Zwecke ausgebeutet wird".

Fischereistreit - Frankreichs Ultimatum läuft aus
Der Fischereistreit zwischen Frankreich und Großbritannien verdirbt das politische KlimaBild: Nicolas Garriga/AP/dpa/picture alliance

Das Verhältnis zwischen beiden Seiten bewegt sich seit Monaten von einem Tiefpunkt zum nächsten. Der Fischereistreit ist das gravierendste Beispiel: Frankreich beschuldigt die britische Seite, entgegen dem Brexit-Abkommen nicht genug Genehmigungen für kleine französische Boote im Ärmelkanal zu erteilen. Präsident Macron beklagte vor kurzem, Großbritannien bewege sich zwischen "Kooperation und Provokation", man könne sich auf eine vernünftige Zusammenarbeit mit der britischen Regierung nicht verlassen. Seit Monaten kommt es immer wieder zu Protestaktionen französischer Fischer. An diesem Freitag blockierten wütende Fischer zeitweilig den Fährhafen sowie die Einfahrt zum Eurotunnel in Calais mit Booten beziehungsweise Autos.

Boris Johnson steht zu Hause wegen einer Vielzahl innenpolitischer Themen und seiner erratischen Auftritte unter Druck. Und für Präsident Macron beginnt informell bereits der Wahlkampf vor dem Termin im April-Mai 2022. Auf beiden Seiten spielen politische Erwägungen eine Rolle, die praktische Lösungen für gemeinsame Probleme zunehmend unwahrscheinlich machen. 

Fischereistreit um Fanggründe