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Wird Energie bald unbezahlbar?

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Henrik Böhme
22. Oktober 2021

Die Preise für Strom, Gas und Sprit steigen immer weiter. Auch die deutschen Verbraucher werden sich demnächst die Augen reiben, wenn die Rechnungen eintrudeln. Besserung ist vorerst nicht in Sicht, meint Henrik Böhme.

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Symbolbild Diesel Zapfsäule
Bild: picture-alliance/dpa/B. Marks

Die Zapfsäule ist das Goldene Kalb der Deutschen. Wenig regt die Menschen hierzulande so sehr auf wie hohe Preise für Benzin und Diesel. Letzterer kostet derzeit so viel wie noch nie - und der Benzinpreis dürfte in Kürze folgen. Bald könnte sich ein lang gehegter Traum der Grünen praktisch von selbst erfüllen: Denn fünf Mark sollte ein Liter Benzin kosten. So hatten sie es vor 23 Jahren auf einem Parteitag beschlossen, um dem Volk das Autofahren mittels teurem Treibstoff zu vermiesen. Die Sache ging nach hinten los, nur mit Glück schaffte die Partei damals bei den Wahlen den Einzug in den Bundestag. 

Infografik - Durchschnittlicher Preis für Superbenzin in Deutschland in den Jahren 1972 bis 2021

Corona und die hohen Preise

Eine fast vergessene Episode, stehen die Grünen doch derzeit davor, zum zweiten Mal in ihrer Geschichte Regierungsverantwortung zu übernehmen. Das Umfeld ist alles andere als optimal. Die Pandemie ist noch lange nicht vorbei, aber ihre wirtschaftlichen Auswirkungen (abgesehen von den gesundheitlichen) sind enorm. Die hohen Energiepreise sind ein Teil davon. Und keineswegs nur hierzulande, sondern weltweit. Was schlicht daran liegt, dass die Weltwirtschaft sich trotz andauernder Pandemie überall schneller erholt als man das erwarten konnte. Das führt zu einer enormen Nachfrage nach Energie. Und wir wissen: Starke Nachfrage treibt die Preise. Aber so wie derzeit, das gabs noch nie: Allein der Großhandelspreis für Gas ist in diesem Jahr um sage und schreibe 440 Prozent gestiegen.

Auch der Erdölpreis klettert in Richtung alter Höchststände, hat sich innerhalb eines Jahres verdoppelt. Das sind aber eigentlich gute Nachrichten. Also jetzt vielleicht nicht für die Autofahrer, sondern für den Umbau der Wirtschaft in Richtung Klimaneutralität. Denn so sollte das ja gehen mit der Energiewende: Fossile Brennstoffe müssen so teuer werden, dass sich die Erneuerbaren rechnen. Wenn Wind-, Solar- und Wasserkraft die billigere Alternative sind, dann erledigt sich das mit Kohle und Gas von selbst. Das war der Plan. Funktioniert aber nicht, weil wir von einer Energiewende noch weit entfernt sind.

Henrik Böhme, DW-Wirtschaftsredaktion
Henrik Böhme, DW-Wirtschaftsredaktion

Energiewende - aber richtig!

Das gilt nicht nur für Deutschland, sondern für die allermeisten Länder. Die Leute fahren Autos überwiegend mit Verbrennungsmotor, heizen mit Öl oder Gas und aus der Steckdose kommt Kohlestrom. (China will gerade 150 stillgelegte Kohleminen wieder in Betrieb nehmen.) Bloß haben wir in Deutschland leider den irrsinnigen Anspruch, den anderen zu zeigen, wie man es machen könnte. Man kann nur hoffen, dass uns keiner nachmacht, was wir bislang Energiewende nennen. Denn die hat vor allem bislang einen gigantischen Haufen Geld gekostet. Aber eine Stromtrasse, die Windstrom aus der Nordsee nach Süden ins Land bringt, existiert bis heute nicht. Der Anteil der erneuerbaren Energie am Bruttoenergieverbrauch liegt in Deutschland gerade mal bei 17 Prozent. (Zum Vergleich: In Schweden sind es 56 Prozent.) 

Um jedes neue Windrad wird vor Gericht gestritten. Bloß: Die Energiewende geht nur mit der Bevölkerung. Wer Auto fahren will, der wird in den nächsten Jahren deutlich tiefer in die Tasche greifen müssen. Außer er kauft sich ein (staatlich gefördertes) Elektroauto. VW-Chef Diess persönlich hat jetzt vorgerechnet, dass es bis 50 Prozent teurer ist, einen Verbrenner statt ein E-Auto zu fahren. Auch die warme Wohnung im Winter wird mehr kosten. Das kann sich bloß nicht jeder mal eben leisten. Also muss es, soll der Energiepreis nicht zum Spaltpilz der Gesellschaft werden, einen Ausgleich für sozial Schwache geben."Den Klimaschutz sozial gerecht gestalten" - das darf kein Wahlversprechen bleiben, daran wird sich die neue Bundesregierung messen lassen müssen.

Schnell mehr neue Energie

Ob es aber richtig ist, den Kohleausstieg noch weiter vorzuziehen bei gleichzeitigem Atomausstieg im kommenden Jahr, darüber sollte dringend nachgedacht werden: Die entstehende Stromlücke zu schließen, beschert Deutschland zusätzliche Emissionen von 50 bis 70 Millionen Tonnen CO2. Außer, Deutschland kauft sich den Atomstrom aus Frankreich ein. Auch keine Lösung. Also, was also bleibt zu tun?

Die künftige Regierung muss umsetzen, was sie in ihrem Papier zum Abschluss der Sondierung schon aufgeschrieben hat - und was nun wohl auch zum Knackpunkt der Koalitionsverhandlungen werden wird: Der Ausbau der erneuerbaren Energien muss dramatisch schneller vorangehen. Das wird entscheidend sein, um die Energiepreis-Krise perspektivisch in den Griff zu bekommen. Sonst wird Energie unbezahlbar. Mit unabsehbaren Folgen.

Sorge vor steigenden Gaspreisen

     

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Henrik Böhme Wirtschaftsredakteur mit Blick auf Welthandel, Auto- und Finanzbranche@Henrik58